Devisenbeschaffung, Tourismus und Geldtransfers und nun auch Investitionen zur Arbeitsplatzschaffung – all das auf dem Rücken der Marokkanerinnen und Marokkaner im Ausland (MRE).
Rabat / Köln – Seit Jahrzehnten haben die im Ausland lebenden Marokkanerinnen und Marokkaner eine dominante Bedeutung für die marokkanische Wirtschaft. Ihr Weggang hat den marokkanischen Arbeitsmarkt, der von einer hohen Arbeitslosigkeit, gerade unter jungen Menschen und Frauen, geprägt ist, entlastet. Sie versorgen mit Rücküberweisungen in enormer Höhe ihre Familien und pumpen damit verlässlich jedes Jahr hohe Summen in das Land.
Gerade erst hat das marokkanische Devisenamt berichtet, dass bis Ende Oktober im laufenden Wirtschaftsjahr 2024 bereits knapp über 100 Mrd. marokkanische Dirham (MAD) von den sog. MRE aus dem Ausland überwiesen wurden – Tendenz seit Jahren steigend – und auch dieses Jahr wird mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder ein Rekordjahr werden.
Das Geld geht zu fast 99 % an die Familien, um den täglichen Bedarf zu decken, das allgemeine Leben zu finanzieren oder um bei gesundheitlichen Notfällen zu helfen.
Es wirkt sich auf die Inlandsnachfrage aus, ohne dass die MRE spürbar selbst davon profitieren.
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Zugleich tragen sie einen wesentlichen Teil zu den Tourismuseinnahmen bei – geschätzt wird ca. 40 % – und gehören zu den wichtigsten Immobilienkäufern. Ohne die MRE würde der marokkanische Gebrauchtwagenmarkt schnell auf dem Trockenen liegen, und die Fluggesellschaften würden einen Großteil ihres Umsatzes verlieren. Geld fließt also in großem Umfang, doch Marokko will von den MREs noch mehr haben.
MRE werden zum „Goldenen Kalb“
Wer sich die aktuelle Diskussion im Königreich anschaut, wird bemerken, dass diese zahlreicher geworden ist, teils einen hoffnungsvollen und teils einen fordernden Charakter bekommen hat, wenn es um die MREs geht.
Ausgangspunkt für die aktuelle Diskussion war die letzte Rede von König Mohammed VI. zum „Grünen Marsch“, in der er nicht zum ersten Mal die MREs ansprach und ihre Bedeutung für das Land anerkannte sowie hervorhob.
Zugleich wies er aber auch darauf hin, dass die MREs keine Investoren seien, und forderte die Regierung dazu auf, mögliche Hindernisse für Investitionen der Auslandmarokkaner zu beseitigen. Der Investitionsanteil an den sog. Rücküberweisungen soll von derzeit 1 % auf 10 % steigen. Damit forderte er aber auch indirekt, dass die MRE einen zusätzlichen oder anderen, nachhaltigen Beitrag zur Entwicklung des Landes leisten sollen. Auch dies tat er nicht zum ersten Mal, wobei König Mohammed VI. nun konkrete Maßnahmen in der Organisation der Regierung und in der Verwaltung ankündigte.
Seitdem vergeht kein Tag, an dem sich nicht irgendeine Behörde oder ein hochrangiger Politiker zu den im Ausland lebenden Marokkanerinnen und Marokkanern äußert. Damit wird man unweigerlich an die in allen drei monotheistischen Weltreligionen bekannte Geschichte vom „Goldenen Kalb“ erinnert.
Marokko – Königliche Rede zum „Grünen Marsch“ in einer deutschen Übersetzung
Ein kleiner Exkurs für die in Religion weniger Bewanderten
Die Geschichte um das Goldene Kalb wird im Judentum in der Tora unter Schemot (שמות – Exodus), Kapitel 32, bzw. im Christentum im Buch Exodus (2. Mose), Kapitel 32, oder im Koran in den Suren Al-Baqara (Die Kuh), Verse 51–54, Sure 7: Al-A’raf (Die Höhen), Verse 148–152, bzw. Sure 20: Ta-Ha, Verse 85–97 angesprochen bzw. beschrieben. Zum Beispiel wird im Koran berichtet, dass das Volk (Israeliten) von Moses (Musa) während seines Aufstiegs auf den Berg Sinai und seiner Abwesenheit ein Kalb zur Anbetung machte. Im Christentum sei es ein Kalb aus Gold gewesen. Moses war auf dem Berg Sinai, um göttliche Offenbarungen zu empfangen, und in seiner Abwesenheit verirrte sich das Volk und baute ein Kalb aus Gold. Als Moses zurückkehrte und das Kalb sah, wurde er wütend und warf die Tafeln, die nach christlichem Glauben die 10 Gebote beinhalteten, nieder, die er von Gott erhalten hatte.
Grob zusammengefasst geht es in diesen Stellen um die Wichtigkeit des Monotheismus und die Ablehnung von Götzenanbetung sowohl im Judentum, Christentum als auch im Islam.
Mit Bezug zu den MRE hält sich Marokko, Allah / Gott sei Dank, aber nicht an die Vorlage der abzulehnenden Anbetung, sondern scheint eher vom zusätzlichen Melken auszugehen. Es genügt nicht mehr, dass die MREs indirekt über Jahrzehnte einen gewichtigen Teil des „Sozialstaat“ darstellten, die Inlandsnachfrage entweder direkt oder indirekt stärkten, den Immobilienmarkt stützten, den Tourismus ankurbelten und die wichtigste Devisenquelle darstellten. Jetzt sollen sie durch Investitionen in sog. „produktive Sektoren“ helfen, die Misere auf dem Arbeitsmarkt zu lösen und einen Mittelstand aufzubauen, um vor allem die von Arbeitslosigkeit getroffene Jugend zu beschäftigen.
Die bisherige Bildungs- und Wirtschaftspolitik hat es leider nicht geschafft, dass ein Mittelstand durch Gründungen / Startups oder Innovationen in Marokko entstanden ist, trotz zahlreicher Programme, Auslandhilfen oder Kredite.
Doch wie internationale Wirtschaftsgeschichte gezeigt hat, ist gerade ein Mittelstand – z. B. wie in den Niederlanden oder Deutschland – ein Treiber für gewinnbringende Innovationen und für den Arbeitsmarkt. Doch die Strukturen der heimischen Wirtschaft scheinen keine Impulse abgeben zu können, damit ein Mittelstand entsteht.
MRE nicht gleich MRE
Bevor hier ein Missverständnis aufkommt, sollte allen klar sein, dass auch Marokko nicht jede Marokkanerin oder jeden Marokkaner im Ausland meint, wenn es um Investitionen geht, denn MRE ist nicht gleich MRE.
Es geht um Unternehmer und Experten in bestimmten Sektoren, die dazu geeignet sind, Arbeitsplätze zu schaffen oder Absatzmärkte zu öffnen. Zugleich hat Marokko auch keine Einladung ausgesprochen, damit z. B. hochqualifizierte MRE in die vermeintliche „Heimat“ zurückkehren, um Aufbauarbeit zu leisten. Es geht um Know-how-Transfer, verbunden mit der Übernahme von unternehmerischem Risiko. Daher sind auch Mitarbeiter im höheren Management bei relevanten Konzernen eine Zielgruppe, da diese ja vielleicht ihre Arbeitgeber für Investitionen in Marokko begeistern könnten.
All die geringqualifizierten Facharbeiter, Angestellten oder sonstigen MRE sind nicht gemeint. Sie sind auch oft in der marokkanischen Gesellschaft nicht anerkannt oder beliebt – ganz im Gegenteil. Sie gelten als ungebildet, ohne Anstand oder Manieren und als schlechte Repräsentanten des Landes im Ausland. Ihr Geld nimmt aber dennoch gerne an.
Der ideale MRE besitzt bereits im Ausland ein Unternehmen und könnte in Marokko eine Produktionsstätte, eine Filiale, eine Praxis, eine Kanzlei, ein IT- oder Planungsbüro eröffnen. Die anderen können weiterhin, falls sie mal Unternehmer sein wollen, die überzähligen leeren Garagen in den Neubausiedlungen kaufen und ihren Verwandten die Eröffnung von weiteren kleinen Läden oder Cafés ermöglichen.
Der oder die MRE, die selbst dazu nicht in der Lage ist, soll bitte weiter Geld überweisen oder vielleicht mal einige Wertpapiere von Investitionsfonds kaufen. Entsprechend erarbeiten bereits seit Jahren Beamte in verschiedenen Ministerien, Botschaften und Konsulaten Listen mit interessanten Persönlichkeiten, die man kontaktiert hat oder gerne ansprechen möchte.
MRE investieren nicht, denn es geht um Vertrauen.
Immer wieder wird in der politischen Diskussion im Königreich die Frage gestellt, weshalb die Diaspora nicht zu den relevanten Investoren im Land gehört. Dabei kommt die Frage aber ebenfalls auf, weshalb die Verantwortlichen die Antwort auch nach über 60 Jahren der Migration noch nicht kennen. An dieser Stelle soll noch nicht darauf eingegangen werden, ob jeder in Marokko davon begeistert wäre, wenn die MRE tatsächlich zu Investoren würden.
Die Antwort auf die Frage ist vielfältig und lässt sich zugleich zweigeteilt beantworten. Die MRE, die als Erste einer Familie migrieren, darunter natürlich die MRE der ersten Generation aus den 1960er und 1970er Jahren, aber auch die jetzige Generation, die es nach Spanien oder Italien gezogen hat, konnten oder können überwiegend nicht investieren.
Viele arbeiten in einfachen Berufen; ihr Einkommen reicht lediglich für die eigene Existenzsicherung und eine Unterstützung der Familien im Land. Bestenfalls schaffen sie es noch, die Erwartungen der Familien in Marokko zu erfüllen, und sind nach ein paar Jahren in der Lage, eine bescheidene Wohnung in der Heimatstadt zu kaufen und im Urlaub mit dem eigenen Auto aufzutreten. Da ist nicht viel Luft für Investitionen, die noch dazu Arbeitsplätze schaffen sollen.
Die anderen Gruppen, unter denen Migranten der zweiten oder dritten Generation zu finden sind, haben es nicht immer geschafft, aus den sozialen Milieus herauszukommen, in die sie die Gesellschaften der Zielländer geschoben haben. Oft haben sie es gerade geschafft, eine gefestigte Berufsausbildung abzuschließen, oder mussten es wagen, eine kleine Selbstständigkeit aufzubauen, da sie auf den allgemeinen Arbeitsmärkten in den Zielländern benachteiligt sind. Diese Gruppe hat ebenfalls kaum Luft, um im „Heimatland der Eltern“ oder Großeltern zu investieren. Zwar tragen sie weniger Verantwortung, Familienangehörige in Marokko zu versorgen, aber sie tragen nicht selten einen Teil der Last weiter, indem sie bei der Migration ihrer Verwandten in unterschiedlicher Form eine Rolle spielen bzw. helfen.
Die übrig gebliebene Gruppe der Migranten, wie oben beschrieben, investiert in Marokko nicht, weil das Vertrauen fehlt. Dabei ist Vertrauen ein großer und vielseitiger Begriff, weshalb wir uns diesen etwas genauer ansehen sollten.
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Rendite, Rendite und nochmals Rendite
Ganz allgemein schaut ein Investor auf die Chancen und Risiken bei seinem Streben nach einer auskömmlichen Rendite. Denn kein Investor hat etwas zu verschenken. Je höher die Risiken wahrgenommen und bewertet werden, desto höher muss die Rendite ausfallen können. Der Risikoaufschlag, den Marokko z. B. am Kapitalmarkt für die Kreditaufnahme zahlen muss, ist nun mal wesentlich höher als bei Ländern wie Deutschland, den Niederlanden, Frankreich oder Belgien – was natürlich seinen Grund hat. MRE, die auf dem Niveau agieren, dass sie potenzielle Investoren sein könnten, bewerten eine mögliche Investition in Marokko eben nicht vornehmlich emotional, sondern eher rational nach Chancen und Risiken. Selbst diejenigen, die gerade erst ausgewandert sind, tun dies.
Unter dem Strich liegt daher die Vermutung nahe, dass viele MRE die Renditen für ihre Investitionen geringer einschätzen als Risiken oder Aufwände, die damit verbunden wären. Oft sind die eigentlichen berechneten Werte für Umsatz und Gewinn theoretisch nicht gering, aber das Risiko, aus Gründen, die mit der Erfolgschance eigentlich nichts direkt zu tun haben, Verluste zu erleiden, erscheint sehr hoch. Dabei geht es nicht nur um Gesetze oder Förderprogramme oder Steuervorteile – davon gibt es viele, wie der geneigte Stammleser der MAGHREB-POST in den letzten Jahren erfahren konnte.
Die wesentlichen Hindernisse
Marokko hat nicht in erster Linie ein organisatorisches Problem, wenn es um Investitionen oder Investoren geht. Das stellt die Regierung und die Beamten immer wieder unter Beweis, wenn sich mal wieder ein ausländischer Konzern auf den Weg macht. Oft geht es um Werte in den hohen Millionen oder gar um Milliardenbeträge, und dann kümmert sich die Ministerin oder der Minister um die Angelegenheit, der rote Teppich wird ausgelegt und alle Türen öffnen sich.
Alle anderen Investoren, insbesondere auf dem Niveau des Mittelstands oder von Start-ups, stoßen auf ineffiziente Verwaltungen, wenig motivierte Ansprechpartner und Beamte, hohe bürokratische Hürden, unkonkret formulierte Gesetze mit großem Spielraum für Interpretationen und – nennen wir es mal – „individuelle Interessen“ der Entscheidungsträger, die an der Investition oder auch nur dem Vorhaben beteiligt sein wollen.
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Aber die Behörden oder Verwaltungen stehen nicht alleine. Da sind auch das marokkanische Finanzsystem und die Geldpolitik. Die marokkanischen Banken stehen in Sachen Bürokratie den öffentlich-rechtlichen Einrichtungen meist in nichts nach: ein Berg von Fragen oder Formularen bei der Eröffnung von Unternehmenskonten und eine ganze Bergkette beim Versuch, sein eigenes Geld wieder abzuheben.
Geld nach Marokko zu überweisen ist, abgesehen von den hohen Kosten, nicht allzu schwierig, aber Geld aus Marokko ins Ausland zu transferieren, kann zum Albtraum werden. Hinzu kommen die hohen Gebühren und die Verluste beim Wechselkurs. Alles Mühen und Kosten, die die Rendite schmälern. Da die Landeswährung international nicht frei gehandelt wird, um ihren Wert und ihre Stabilität zu schützen, bestehen nicht unerhebliche Hürden.
Wenn wir an dieser Stelle zunächst bei der Wirtschaft bleiben, dann werden geneigte Investoren nicht selten auf undurchsichtige Marktgegebenheiten stoßen. Viele Märkte sind schlicht nicht zugänglich, weil wichtige Akteure den nötigen Einfluss haben, potenzielle Wettbewerber zu behindern. Im Verkehrssektor, Energiesektor, bei Rohstoffen, Telekommunikation, Automobilvertrieb und vielem mehr gestaltet sich ein Markteintritt eher schwierig.
Marokkos Justizsystem ist ein weiteres Hindernis. Seit Jahrzehnten gilt es als kompliziert, ineffizient und auch intransparent. Alle Versuche, das Justizsystem zu reformieren, sind bisher gescheitert. Selbst König Mohammed VI. versuchte sich in den frühen Jahren seiner Regentschaft an einer Reform, auch um Korruption zu bekämpfen. Zugleich unterscheidet sich das Rechtsempfinden deutlich von den Gegebenheiten im Königreich, welches ausländische Investoren oder MRE aus ihren Wohnsitzländern mitbringen.
Für einen Investor ist es jedoch entscheidend, ob ein funktionierendes Justizsystem ihm im Zweifelsfall zur Seite steht, um berechtigte Ansprüche gegen Kunden, Lieferanten, Behörden oder sonstige Vertragspartner durchzusetzen. Dies ist ein wesentliches Element im Wirtschaftsleben, damit Vertragstreue sowie Gesetzestreue unterstützt werden. Je risikobehafteter ein Investor diesen Punkt einschätzt, desto höher muss die Rendite für seine Investition ausfallen.
Eine Frage der Mentalität.
Ein weiteres und aus Sicht des Autors wesentliches Hindernis für Investitionen ist die marokkanische Mentalität.
Vordergründig erleben Reisende aus dem Ausland ein gastfreundliches Land mit herzlichen Menschen, die auch mal einen Fremden spontan zu einem Tee zu sich nach Hause einladen. Das ist aber nur die Fassade. Zum einen ist diese „Gastfreundschaft“ ein Gebot der Religion, und zum anderen ist sie der Tradition geschuldet, die aus Gottesfurcht und im Sinne des Ansehens in der Gemeinschaft beachtet wird.
Doch die Zurückhaltung und die Moral sind schnell verflogen, wenn es um den persönlichen Vorteil geht. Die Menschen haben oft „zwei Gesichter“, und leider unterscheiden sich diese nicht selten recht deutlich voneinander.
Dies schlägt sich leider auch in der Produktivität nieder. Wer sich wirklich mal mit der Arbeitsqualität von Marokkanerinnen und Marokkanern vor Ort beschäftigen musste, steht oft, gerade wenn man aus der Schweiz, den Niederlanden oder Deutschland kommt, vor einem Herzstillstand. Selten ist in einem Neubau auch nur eine Wand wirklich im Lot oder gerade, keine Autoreparatur wirklich perfekt ausgeführt, kein Kleidungsstück sauber vernäht. Viele Unternehmen müssen viele Stunden in Schulung und teils Erziehung investieren, um ein Qualitätsniveau zu erreichen, das auf dem europäischen Markt einigermaßen mithalten kann. Die Automobilhersteller vor Ort können ein Lied davon singen.
Viele Menschen scheinen zunehmend dazu zu neigen, Eigenverantwortung und Eigeninitiative aufzugeben. Positiv könnte man dies als eine Form von Sorglosigkeit interpretieren. Realistischer betrachtet, handelt es sich jedoch oft um ein Defizit in weitsichtiger Planung und Selbstständigkeit. Spricht man vor Ort mit Marokkanerinnen und Marokkanern über dieses Thema, wird häufig entgegnet, dass alles in Allahs Hand liege und Gott sich um das Wohl eines jeden kümmern werde. Dabei wird jedoch oft übersehen, dass selbst der Prophet Mohammed einem Reisenden empfahl, sein Vertrauen in Allah zu setzen, aber dennoch sein Kamel festzubinden.
Ein ähnliches Bild zeigt sich in der wiederkehrenden Forderung, die Regierung müsse Arbeitsplätze schaffen und für ein Einkommen sorgen. Selten wird hingegen betont, dass Unterstützung zur Förderung von Eigeninitiative benötigt wird. Doch genau diese Fähigkeit – Eigenverantwortung, strategische Weitsicht und Eigeninitiative – bildet eine zentrale Grundlage, sei es für den Weg in die Selbstständigkeit oder für den Aufbau und die Entwicklung der eigenen Karriere.
Wenn Moral nicht fest verankert ist.
Besonders schwierig wird es, wenn man von einem marokkanischen Ansprechpartner abhängig ist. Termine werden nicht eingehalten, Absprachen kurzfristig wieder in Abrede gestellt, Versprechungen gemacht, ohne dass die Absicht besteht, diese einzuhalten, und vieles mehr.
Wie oft hat man eine junge Marokkanerin oder einen jungen Marokkaner gehört, der sich über Vetternwirtschaft, behördliche Willkür, mangelhafte Arbeitsmoral oder Korruption aufgeregt oder beklagt hat, nur um, sobald sie eine Position hinter einem entsprechenden Schreibtisch erreicht haben – meist dank der Beziehungen ihrer Familie – die gleichen Verhaltensweisen an den Tag zu legen.
Es herrscht eine Mentalität, die vorwiegend auf die eigene Bereicherung und auf den eigenen Vorteil bedacht ist. Ständig scheinen alle auf der Hut zu sein, um potenzielle Angreifer abzuwehren oder keine Chance auf persönliche Bereicherung zu verpassen. Man kann sich eigentlich auf nichts verlassen, selbst auf das grüne Licht an der Verkehrsampel nicht, weil immer damit zu rechnen ist, dass ein Fahrrad-, Mofa-, Roller- oder Autofahrer die Chance ergreifen könnte und trotz Rotlicht über die Kreuzung fährt. Dies verringert die Verlässlichkeit, erhöht die Kosten, beschädigt das Vertrauen und bedarf erneut einer höheren Rendite.
Um dies mit den Worten aus der Wirtschaftstheorie zu umschreiben. Obwohl jeder wissen könnte, dass es allen beteiligten besser gehen könnte, wenn das sog. Nash-Gleichgewicht aus der Spieltheorie eingehalten würde, versucht ein jeder sich nochmals besser zu stellen und hat kein Problem damit einen anderen zu schädigen.
Das persönliche Erleben der MRE
Viele Personen in dieser Gruppe der potenziellen Investoren sind auch MRE mit einem privaten und individuellen Erleben. Sie haben nicht selten vor Ort oder sogar bei den diplomatischen Diensten, Botschaften und Konsulaten schlechte Erfahrungen gemacht.
Immer wieder erreichen die MAGHREB-POST E-Mails und Briefe mit Geschichten, bei denen MRE wirtschaftlich und emotional zu Schaden gekommen sind. Da geht es um Erbschaften wie Grundstücke oder Häuser der Eltern und Großeltern, die von Verwandten vor Ort plötzlich beansprucht oder besetzt werden. Finanzvermögen, die aus mutmaßlich formalen Gründen seit Jahren eingefroren sind. Immer wieder liest man von MRE, die nach einigen Jahren in ihre vermeintliche Heimatstadt reisen, um dann festzustellen, dass ihre Grundstücke oder Felder plötzlich bebaut und mehrfach weiterverkauft wurden. Es geht um Anwälte, die kaum etwas dazu beitragen, dass sich ein Verfahren entwickelt, aber ständig Geld verlangen. Es geht um Verwandte, die das ihnen zugesandte und anvertraute Geld für eigene Zwecke verwenden und die Wohnung des MRE nicht wie besprochen renoviert haben.
Viele haben sich in diesem Sommer darüber beschwert, dass sie als MRE oft viel höhere Preise in Geschäften, Cafés oder bei Mietwagen oder gar in Taxis bezahlen sollten oder mussten, als es Einheimische tun müssen. Andere wurden mit dem Vorwurf konfrontiert, dass sie für die steigenden Preise im Land mitverantwortlich seien, da sich während ihrer Ferienaufenthalte alles verteure. Die Liste ließe sich lange weiterführen.
Oft beginnt es aber schon bei den diplomatischen Vertretungen im Ausland. Ausweisdokumente, die im Gegensatz zum Inland häufiger verlängert oder erneuert werden müssen, kosten nicht selten eine deutlich höhere Gebühr. Hier stellt sich die Frage, ob bei 100 Mrd. MAD an Geldüberweisungen die MRE bei Ausweisen und Pässen derart zur Kasse gebeten werden müssen. Nicht selten sind die Beamten und Diplomaten auch schwierig, da sie von den MRE Kenntnisse der marokkanischen Gesetze verlangen, anstatt die Marokkanerinnen und Marokkaner an die Hand zu nehmen und durch die Anforderungen zu begleiten.
Diejenigen, die z. B. das Generalkonsulat in Düsseldorf nutzen müssen, finden sich – gleich welches Wetter – auf der Straße wartend wieder, auch mit einem Termin, denn vor dem Eingang steht eine Art Türsteher, der peinlich darauf achtet, dass kaum mehr als fünf Minuten zu früh eingelassen wird, geschweige denn man ist zu spät oder gänzlich ohne Termin, den man in einem recht komplizierten und schlecht ins Deutsche übersetzten Onlineportal erst einmal ergattern muss. Der Autor befürwortet eine Organisation auch durch Termine, empfindet aber das Versperren des Zutritts auf das marokkanische Hoheitsgebiet durch Abschließen des Tores als Zurückweisung und auch als beleidigende Handlung. Muss dies so sein? Reichen 100 Mrd. MAD nicht, um geeignete Örtlichkeiten anzumieten, damit man als Besucher nicht auf der Straße stehen muss?
Ein wesentlicher Punkt ist, dass zukünftig und immer mehr eine aus den Wohnsitzländern stammende Mentalität auch nach Marokko mitgenommen wird. Gerade in westlichen Staaten erleben die MRE demokratische Strukturen, Sozialsysteme, Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit und natürlich auch Meinungsfreiheit. Viele übertragen dies auf das Königreich oder formulieren daraus Ansprüche hinsichtlich der politischen Teilhabe. Überall, wo diese Erwartungen nicht erfüllt werden, entsteht ein Vertrauensverlust und dieser – der geneigte Leser ahnt es schon – erhöht das Risikoempfinden und treibt die Renditeerwartung nach oben. Es könnte durch die MRE, die als Investoren ihre Investitionen schützen wollen, politischer Druck ausgeübt werden. Deshalb könnten viele Gruppen auch kein Interesse daran haben, dass MRE zu gewichtigen Investoren werden.
Nimmt man all diese Überlegungen und Eindrücke zusammen, die selbstverständlich nicht vollständig sein können, stellt sich die Frage, weshalb die potenten, interessanten oder anvisierten MRE das Land ihrer Eltern, Großeltern oder sogar ihr eigenes Herkunftsland Marokko nicht nur als Urlaubsland, sondern als Investitionsziel betrachten sollten. Ist die Rendite so hoch, um all diese Hürden und Hindernisse anzugehen? Es geht also nicht nur um das Beseitigen von formalen Hürden oder das Einrichten von Agenturen und bürokratischen Anlaufstellen, es bedarf auch eines kulturellen Wandels, der zu Vertrauen in Staat, Markt und Menschen führt.
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