Der milliardenschwere Megadeal zwischen Marokko und den Vereinigten Arabischen Emiraten wirft Fragen auf: Warum engagiert sich Europa, und insbesondere Wirtschaftsmacht Deutschland, nicht in ähnlichem Maße an solchen strategischen Großprojekten in Nordafrika? Eine tiefere Analyse zeigt, dass die Gründe weit über die oberflächliche Betrachtung von politischer Stabilität hinausgehen.
Rabat/Abu Dhabi – Die MAGHREB-POST erreichten in den letzten Tagen Nachfragen zu dem Vertrag zwischen Marokko und den V.A.E. Eine Frage kam wiederholt auf: „Warum investieren Länder wie Deutschland oder die Niederlande nicht ähnlich in Länder wie Marokko?“.
Die im Mai 2025 verkündete strategische Partnerschaft zwischen Marokko und einem emiratisch geführten Konsortium, die Investitionen von bis zu 150 Milliarden marokkanische Dirham in die Wasser- und Energieinfrastruktur des Königreichs vorsieht, markiert einen Meilenstein. Sie soll Marokkos Wassersicherheit und Energiesouveränität nachhaltig stärken und wird als Musterbeispiel für eine zukunftsweisende öffentlich-private Partnerschaft gefeiert. Doch das Ausbleiben europäischer Akteure in einer solch federführenden Rolle wirft eine zentrale Frage auf: Warum scheinen sich Länder wie Deutschland, Frankreich oder Großbritannien von derartigen Projekten fernzuhalten, obwohl sie über das notwendige Kapital und Know-how verfügen?
Marokko – Milliardeninvestition mit den Emiraten stärkt Wasser- und Energieversorgung
Das Argument der politischen Stabilität – eine begrenzte Erklärung
Eine erste Vermutung könnte die politische Stabilität sein. Projekte dieser Größenordnung erfordern Planungssicherheit und ein verlässliches juristisches Umfeld. Marokko gilt zwar als eine vergleichsweise stabile Nation im Maghreb, doch die Turbulenzen, die selbst dieser Deal aufgrund eines Rechtsstreits mit Maroc Telecom (einer emiratisch kontrollierten Telekommunikationsfirma) erlebte, zeigen, dass auch hier Risiken bestehen können.
Allerdings wird das Argument der politischen Stabilität durch Beispiele aus der Praxis relativiert. Deutsche Unternehmen wie Volkswagen oder der Rüstungskonzern Rheinmetall sind in Algerien engagiert – einem Land, das politisch oft als weniger berechenbar gilt als Marokko. Dies deutet darauf hin, dass die vermeintliche Zurückhaltung Europas bei marokkanischen Megaprojekten nicht allein auf die Risikowahrnehmung politischer Rahmenbedingungen zurückzuführen ist. Vielmehr liegt der Kern der Erklärung in grundlegenden Unterschieden der Wirtschaftsmodelle und Investitionsstrategien.
Unterschiedliche Wege zum Wohlstand: Absatzmärkte versus Kapitalrendite
Der Hauptgrund für die unterschiedlichen Ansätze liegt in der fundamentalen Art und Weise, wie die jeweilige Nation ihren Wohlstand generiert und sichert:
Die Investitionsstrategie der Golfstaaten: Diversifikation durch Kapitalrendite
Der Reichtum der Vereinigten Arabischen Emirate und anderer Golfstaaten basiert historisch primär auf dem Export von Rohstoffen, insbesondere Öl und Gas. Um diesen Wohlstand langfristig zu sichern und sich von der Abhängigkeit von endlichen Ressourcen zu lösen, verfolgen sie eine aggressive Diversifizierungsstrategie. Diese Strategie beinhaltet die Reinvestition des akkumulierten Kapitals in kapitalintensive Projekte, die langfristige und stabile Renditen versprechen. Dazu gehören Infrastrukturvorhaben wie Energieerzeugung, Wasseraufbereitung, Häfen und große Immobilienprojekte. Für die Emirate ist Marokko ein idealer Partner: Das Land benötigt massive Investitionen in grundlegende Infrastruktur, die langfristige und oft regulierte Einnahmen generieren. Unternehmen wie Taqa, oft staatlich kontrolliert oder stark gestützt, können nicht nur immense Kapitalmengen mobilisieren, sondern auch eine strategische und geopolitische Dimension in die Partnerschaft einbringen, die über rein kommerzielle Überlegungen hinausgeht. Ihre eigene, über Jahrzehnte gewachsene Expertise im Bau und Betrieb solcher Großanlagen, etwa von Entsalzungsanlagen in Wüstenregionen, macht sie zu einem Partner, der Kapital und spezifisches Know-how aus einer Hand bieten kann.
Deutschlands Exportorientierung: Wohlstand durch Produktexport und Absatzmärkte
Das Wirtschaftsmodell Deutschlands basiert hingegen maßgeblich auf dem Export hochwertiger Industrieprodukte – von Automobilen und Maschinen bis hin zu komplexen chemischen Erzeugnissen und Spezialinstrumenten. Für deutsche Unternehmen ist ein Zielland primär dann attraktiv, wenn es einen großen und kaufkräftigen Absatzmarkt für diese Güter bietet. Das massive Engagement deutscher Konzerne in China ist ein Paradebeispiel für diese Logik: Trotz politischer Herausforderungen und Risiken ist der riesige chinesische Binnenmarkt mit seiner wachsenden Mittelschicht von existenzieller Bedeutung für deutsche Exporteure.
Marokko und der afrikanische Kontinent bieten für diese Art von Geschäftsmodell im Vergleich derzeit noch limitierte Perspektiven. Die Kaufkraft ist geringer, und die schiere Größe des Marktes für den Verkauf deutscher Produkte ist überschaubar; der gesamte afrikanische Kontinent erreicht als Marktvolumen kaum die Hälfte Chinas. Deutsche Investitionen in Afrika konzentrieren sich daher eher auf spezifische Nischen, die entweder den Absatz von Produkten ermöglichen (wie Automobilmontage in Algerien) oder staatliche Aufträge (im Rüstungsbereich) generieren. Es geht hierbei selten um die umfassende Übernahme oder Finanzierung der gesamten nationalen Kerninfrastruktur eines Landes, sondern um den Verkauf von Gütern oder die Erbringung gezielter Dienstleistungen.
Eine Frage des strategischen Fits
Die unterschiedlichen Rollen bei Megaprojekten wie dem marokkanisch-emiratischen Deal sind somit weniger ein Zeichen mangelnden Mutes oder fehlenden Vertrauens in die politische Stabilität, diese Themen spielen nur am Rande eine Rolle und hindern deutsche Unternehmen nicht an Investitionen z.B. in Algerien oder Ägypten. Sie sind vielmehr eine Konsequenz der spezifischen Wirtschaftsmodelle, der Kapitalstrukturen und der daraus abgeleiteten strategischen Prioritäten der involvierten Akteure. Die Emirate investieren Kapital, um Kapitalrenditen zu generieren und ihre Zukunft zu diversifizieren. Deutschland investiert, um Absatzmärkte für seine Produkte zu erschließen. Diese fundamentalen Unterschiede bestimmen, welche Art von Projekten für wen am attraktivsten ist.
Die geneigte Leserin bzw. der geneigte Leser könnten nun einbringen, dass doch auch ein Land wie China, dass ähnlich wie Deutschland oder andere EU-Länder vor allem Produkte absetzen will, dennoch in Afrika und auch Marokko investiert, was auf den ersten Blick der Analyse widersprechen würde.
Allerdings besteht dieser Widerspruch tatsächlich nur auf den ersten Blick. China investiert vor allem in Afrika, um Zugang zu Rohstoffen und zu attraktiven Absatzmärkten mit höherer Kaufkraft zu bekommen. Marokko ist für China z.B. wegen der weltgrößten Phosphatvorkommen und der Lage vor den Toren des kaufkräftigsten Wirtschaftsraums der Welt, Europa, interessant. Oft verschafft sich China durch Investitionen in Form von Krediten an afrikanische Länder einen privilegierten Zugang zu den Rohstoffen, die man dann selbst wieder im eigenen Land für die Produktion benötigt oder einfach auf dem Weltmarkt veräußert. Zugleich entwickelt China dadurch auf neue Märkte für die Zukunft, die bei Handelsstreitigkeiten z.B. mit Europa oder den USA zumindest einen Teil der Produktion aufnehmen können. Ein Gedanke, der auch auf dem Afrikatag in Berlin eine Rolle bei den zukünftigen Strategien Deutschlands im Bezug auf Afrika spielen soll.
Marokko – Afrika rückt mehr in den Fokus der deutschen Wirtschaftspolitik