Mit einem Investitionsprogramm über 253 Milliarden Dirham modernisiert Marokko landesweit seine Verteilungsinfrastruktur – und stößt dabei auf erste Kritik und Klärungsbedarf bei der Umsetzung.
Rabat – Marokko treibt die Reform seiner regionalen Versorgungsdienste weiter voran. Mit einem Gesamtvolumen von 253 Milliarden marokkanischen Dirham MAD (rund 23 Milliarden Euro) wird eines der größten Infrastrukturprogramme des Landes umgesetzt. Wie Innenminister Abdelouafi Laftit am gestrigen Montag (2. Juni 2025) im Repräsentantenhaus erklärte, zielt das Reformvorhaben auf eine flächendeckende Modernisierung der Versorgungsnetze für Wasser und Strom sowie auf eine effizientere Verwaltungsstruktur in den Regionen.
In den ersten fünf Jahren dieses Programms, das 2020 aufgelegt wurde, sei nach Angaben des Innenministers rund ein Drittel des Investitionsprogramms umgesetzt worden. Für das Jahr 2025 stehen den vier bereits gegründeten Regional Multi-Service Companies (SRM) über 13 Milliarden MAD zur Verfügung. Weitere 44 Milliarden MAD sollen bis 2029 folgen.
Einheitliche Standards und mehr Gerechtigkeit angestrebt.
Das zentrale Anliegen des Reformprojekts ist es laut Minister Laftit, räumliche Ungleichgewichte zu beheben und die Verwaltung der Versorgungsdienste zu vereinheitlichen. Zuvor waren vielerorts unterschiedliche Akteure involviert, deren mangelnde Koordination zu Ineffizienz und Unzufriedenheit geführt habe. Die Gründung der SRMs soll diese Zersplitterung beenden und eine regionale Steuerung unter staatlicher Aufsicht ermöglichen.
Seit Ende 2024 wurden die Verwaltungsverträge in den Regionen Casablanca-Settat, Souss-Massa, Oriental und Marrakech-Safi schrittweise aktiviert. Zuletzt folgte am 1. Juni 2025 die Region Rabat-Salé-Kénitra. Weitere Regionen sollen bis Jahresende eingebunden werden.
Übergang ohne Unterbrechung – aber mit Herausforderungen
Nach Angaben des Innenministers verlief der Übergang von privaten oder halbstaatlichen Anbietern zu den neuen SRMs bisher ohne größere Störungen im Dienstbetrieb. Er betonte, dass sämtliche Agenturen und Kundenzentren der früheren Versorger übernommen worden seien. Auch das Personal sei weitgehend integriert worden, wobei ein neues Beschäftigungsregime die Rechte und Privilegien der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewährleisten solle.
Zur Sicherstellung der Kontinuität wurden zudem bestehende Verträge und Investitionsprojekte an die neuen SRMs übertragen. Die bisher gültigen Tarife bleiben bestehen – eine Preiserhöhung sei laut Ministerium nicht vorgesehen und auch vertraglich ausgeschlossen.
Kritik an Abrechnungen und der Zählerablesung
Gleichwohl gibt es Beschwerden von Nutzerinnen und Nutzern über gestiegene Rechnungsbeträge. Laut Innenminister Laftit sei dies jedoch nicht auf neue Tarife zurückzuführen, sondern auf technische Faktoren bei der Zählerablesung. So hätten viele der ehemaligen Anbieter unregelmäßig gemessen, Schätzungen genutzt oder die Ablesung an Dritte vergeben.
Die SRMs seien vertraglich verpflichtet, Rechnungen ausschließlich auf Basis des tatsächlichen Verbrauchs zu stellen. Eine regelmäßige, präzise Ablesung werde derzeit aufgebaut. Beschwerden würden über die lokalen Vertretungen der SRMs angenommen und zügig bearbeitet, so der Minister weiter. Bei Bedarf könnten auch individuelle Zahlungserleichterungen gewährt werden.
Aufbau regionaler Verwaltungsstrukturen
Zur weiteren Unterstützung des Reformprozesses wurde unter Aufsicht des Innenministeriums eine neue Entwicklungsgesellschaft gegründet. Diese soll Projekte zur Modernisierung der Verteilungsdienste bzw. Versorgungsdienste regional bündeln, Verfahren vereinheitlichen und gemeinsame Ressourcen effizient einsetzen. Ziel sei es, territoriale Gerechtigkeit zu fördern und den Zugang zu hochwertigen Versorgungsleistungen im ganzen Land zu sichern.
Minister Laftit räumte ein, dass sich der Investitionseffekt nicht sofort zeigen werde: „Die neuen Unternehmen haben die bestehenden Anlagen in dem Zustand übernommen, in dem sie sich befanden – Verbesserungen werden erst durch langfristige Investitionen und modernisierte Verwaltungsmechanismen sichtbar.“
Strukturreform mit strategischer Tragweite hinterlässt offene Fragen
Die Einführung der SRMs markiert einen tiefgreifenden Wandel in Marokkos Infrastrukturpolitik. Mit der Zusammenführung von Verwaltung, Investitionen und Betrieb auf regionaler Ebene soll der Versorgungssektor effizienter, gerechter und zukunftsfähiger gemacht werden. Die Umsetzung verläuft weitgehend planmäßig, wird aber begleitet von operativen Herausforderungen im Alltag der Nutzer. Wie gut das System künftig funktioniert, wird sich an der Qualität der Dienstleistungen und dem Vertrauen der Bevölkerung messen lassen.
Es wird aber auch um Kostenstrukturen und um Angebote gehen, die der Kaufkraft der Bürgerinnen und Bürger entsprechen.
Offen bleibt auch, wie die Versorger das Potential bei den Bürgerinnen und Bürgern zur Energiegewinnung, Verteilung oder Einsparungen aktivieren können. Dadurch, dass privates Immobilieneigentum, vor allem auf dem Land, weit verbreitet ist, könnten die sich daraus ergebenden Flächen z.B. zur Erzeugung von privatem Solarstrom oder Windkraft genutzt werden, wenn die neuen SRMs entsprechende Anreize schaffen und die möglichen technischen Hindernisse im Netz beseitigen.
Der Innenminister hat beeindruckend vor den Mitgliedern der zweiten Kammer des Parlaments erläutert, wie die Versorgungsunternehmen und die Verwaltungen zusammengeführt wurden, aber ob die Bürgerinnen und Bürger ebenfalls einbezogen wurden oder ob zu deren Beteiligung auch Konzepte bestehen, lies er offen. Auch blieb offen, welche angestrebten positiven Effekte für die Bevölkerung konkret erwartet werden. Effizienzsteigerungen müssen eigentlich mit einem Ziel, das messbar sein sollte, verknüpft werden, z.B. Entlastung für den Staatshaushalt oder Auswirkungen auf die Energiepreise. Das bisher formulierte Ziel der Verbesserung der Qualität ist recht weich und nicht objektiv, weil jeder unter Qualität etwas anderes verstehen kann. Der Innenminister wies lediglich darauf hin, dass die positiven Effekte nicht zeitnah spürbar sein werden.