Neue Moudawana (Familienrecht) stärkt Frauenrechte und modernisiert Ehegesetz, Sorgerecht, Erbrecht und erschwerte die Polygamie
Mit umfassenden Reformen der Moudawana will Marokko den gesellschaftlichen Wandel widerspiegeln und die Rechte von Frauen, Kindern und Männern gleichermaßen schützen.
Marokko hat eine umfassende Reform seines Familienrechts, der Moudawana, angestoßen. Justizminister Abdellatif Ouahbi präsentierte kürzlich die zentralen Änderungen, die König Mohammed VI. initiiert hatte. Ziel der Reform ist es, Ungleichgewichte zu beheben, gesellschaftliche Entwicklungen widerzuspiegeln und die Rechte von Frauen und Kindern zu stärken. Gleichzeitig soll das Gesetz die Würde von Männern wahren und besser mit internationalen Abkommen harmonieren.
„Die Reform ist notwendig, um auf die Dynamik der marokkanischen Gesellschaft zu reagieren“, erklärte Ouahbi. Die Neuerungen sollen das Familienrecht moderner und gerechter gestalten.
Marokko – Umfassende Reform des Familienrechts – Ausführliche Darstellung der Eckpunkte
Ehe erst ab 18 Jahren – Einheitliche Regelung für Männer und Frauen
Einer der zentralen Punkte ist die Anhebung des gesetzlichen Mindestalters für die Ehe auf 18 Jahre – für Männer und Frauen gleichermaßen. Nur in Ausnahmefällen können Minderjährige ab 17 Jahren unter strengen Bedingungen heiraten. Diese Maßnahme zielt darauf ab, die Rechte von Jugendlichen zu schützen und Zwangsehen zu verhindern. Obwohl bereits jetzt die Heirat von Minderjährigen eine Ausnahme sein sollte und einer richterlichen Genehmigung bedarf, finden Eheschließungen vor allen von minderjährigen Frauen jährlich zu tausenden statt, da Richterinnen und Richter immer wieder die Erlaubnis dazu erteilen. Dies soll sich ändern.
Eingeschränkte Polygamie – Frauen haben das letzte Wort
Die Reform schränkt die Polygamie erheblich ein. Männer dürfen eine zweite Ehe nur eingehen, wenn die erste Ehefrau ausdrücklich zustimmt. Diese Zustimmung muss im Ehevertrag bei der Eheschließung erfolgen und festgehalten werden. Zudem gilt diese Regelung nur dann nicht, wenn die erste Ehefrau aufgrund von Unfruchtbarkeit oder einer schweren Krankheit keine ehelichen Pflichten erfüllen kann. Mit dieser Maßnahme sollen die Rechte der Frauen gestärkt und traditionelle Machtverhältnisse ausgeglichen werden.
Scheidung ohne Gericht – Neue Wege für einvernehmliche Trennungen
Die neue Moudawana soll es erlauben, dass Ehepaaren, sich einvernehmlich und ohne gerichtliches Verfahren scheiden lassen können. Strittige Scheidungen unterliegen hingegen einem festen Zeitrahmen. Alle Verfahren müssen innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen sein. Ein neu geschaffenes Mediationsteam soll Paare unterstützen, eine Einigung zu finden.
Kinder im Fokus – Gemeinsames Sorgerecht und Schutz des Kindeswohls
Kinderrechte werden sollen durch die Reform gestärkt werden. Das Sorgerecht wird während und nach der Ehe zwischen beiden Elternteilen geteilt. Auch geschiedene Mütter behalten das Sorgerecht, selbst wenn sie erneut heiraten. Neue Regelungen sollen den Wohnsitz der Kinder sichern, Besuchsrechte regeln und Reisen der Kinder mit nur einem Elternteil erleichtern.
Finanzen in der Ehe – Der Beitrag der Frau zählt
Ein neues Rahmenwerk erkennt die Arbeit der Frau im Haushalt als Beitrag zum gemeinsamen Vermögen an. Damit wird die finanzielle Rolle der Ehefrau stärker gewürdigt. Zudem werden Unterhaltszahlungen durch klare Kriterien und vereinfachte Verfahren beschleunigt.
Erbrecht – Fortschritte und Einschränkungen
Die Reform bringt auch Änderungen im Erbrecht mit sich, das wohl heikelste Thema in der politischen Diskussion zwischen liberale und islam-konservative. Während die traditionelle islamische Regelung – bei der männliche Erben doppelt so viel wie weibliche erhalten – beibehalten wird, können Einzelpersonen künftig Vermögenswerte noch zu Lebzeiten an weibliche Erben übertragen. Damit soll eine gerechtere Verteilung ermöglicht werden.
Zudem können Ehepartner unterschiedlicher Religionen künftig Testamente oder Schenkungen zugunsten des anderen verfassen. Dies war bisher rechtlich nicht möglich und stellt einen bedeutenden Fortschritt dar.
Begleitmaßnahmen zur Reformumsetzung
Die Regierung plant fünf zusätzliche Maßnahmen, um die Reform effizient umzusetzen:
- Spezialisierte Fachkräfte: Mehr Richter und Verwaltungsangestellte werden in Familienrechtsfragen geschult.
- Leitfäden für Verfahren: Ein praktisches Handbuch soll die Handhabung des Familienrechts erleichtern.
- Zentrale Anlaufstellen: Ein „One-Stop-Shop“ an Familiengerichten soll den Zugang zum Rechtssystem vereinfachen.
- Ehevorbereitung: Künftige Ehepartner erhalten Schulungen über Rechte und Pflichten im Rahmen der Ehe.
- Nationales Register: Ein zentrales Register für Ehe- und Scheidungsverträge wird geprüft.
Ein neues Familienrecht für eine gerechtere Zukunft angestrebt.
Die Reform der Moudawana markiert einen Wendepunkt in der marokkanischen Rechtsgeschichte. Sie zeigt, wie Marokko islamische Prinzipien mit den Herausforderungen einer modernen Gesellschaft in Einklang bringt. Mit diesen Neuerungen will das Land die Stellung der Frau stärken, die Kinder schützen und die Rechte aller Familienmitglieder gleichermaßen wahren. Ein großer Schritt in Richtung Gerechtigkeit und Gleichberechtigung. Noch sind nicht alle Details bekannt. Es soll bis zu 100 Änderungen geben, die viele bestehenden Gesetze ändern oder neue Gesetze nötig machen. Zu den Fragen der individuellen Freiheit, womit Beziehungen auch außerhalb einer Ehe gemeint sind, deren Entkriminalisierungen von vielen Verbänden und NGO gefordert wird, ist noch nicht bekannt.
Die nächsten Wochen und Monate werden sicherlich von einer wahrscheinlich leidenschaftlich geführten Diskussion begleitet werden. Während islam-konservative Kreise voraussichtlich viele Maßnahmen für zu weitgehend halten werden, werden andere Gruppierungen im Land eher ihre Enttäuschung zum Ausdruck bringen. Sicherlich wird auch das Erbrecht weiterhin ein Diskussionsthema bleiben. Doch die Erfahrungen bei der letzten Reform des Familienrechts im Jahr 2004 zeigen, dass die marokkanische Gesellschaft, auch nach Großdemonstrationen und heftigen Streit, zu einem Kompromiss fähig ist.