Macrons Algerien-Fokus bewertet Sarkozy in seinem neuen Buch als Gefahr, den gesamten Einfluss Frankreichs in Nordafrika zu verlieren.
Paris – Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich, die weite Teile Nordafrikas bis zu 130 Jahre beherrscht hat, verliert zunehmen Einfluss auf ihre ehemaligen Kolonien oder Protektorate.
Besonders Algerien aber auch Marokko haben teils sehr unter der Besatzung durch Frankreich bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts gelitten. Ein Trauma, dass sowohl in Marokko aber noch umfassender in Algerien eine große Rolle spielt.
Bis heute empfinden in Frankreich konservative und nationalistische Kreise vor allem den Verlust Algeriens als Tragödie und sie weigern sich, die begangenen Gräueltaten, vor allem im sog. Algerienkrieg während er Unabhängigkeitsbewegungen, anzuerkennen.
Zugleich sind bis heute die Spuren der Kolonialzeit in Algerien und Marokko zu erkennen. Sowohl im Stadtbild, in der Infrastruktur, in der Gesetzgebung und vor allem in der Alltagssprache, vor allem der wirtschaftlichen und politischen Eliten.
Doch seit einigen Jahren verliert Frankreich seinen Einfluss in der Region und in ganz Afrika. In Algerien gehört der Kampf gegen Frankreich zum politischen und kulturellen Erbe, zum Gründungsmythus und zum Führungsanspruch der aktuellen politischen wie militärischen Elite unter der FLN.
Dies ist auch der Grund, warum die politischen Beziehungen zwischen Frankreich und Marokko enger gewesen sind. Zugleich ist die Kolonialzeit Frankreichs einer der wesentlichen Gründe für den Konflikt zwischen Algerien und Marokko, hat doch Frankreich als Macht in beiden Ländern territoriale Veränderungen, meist zu Gunsten „französisch Algerien“ und zu Lasten Marokkos, Mauretaniens und Nigers vorgenommen. Die Folgen sind zahlreich. So ist mit Algerien das heute größte Flächenland Afrikas entstanden, aber zugleich wurden ungeklärte territoriale Fragen und Grenzverläufe nach dem Abzug hinterlassen, die Ursache für teils kriegerische Auseinandersetzungen und Drohungen bis heute sind.
Aber auch Marokko hat sich in den letzten 20 Jahren unter der Herrschaft von König Mohammed VI. emanzipiert. Zum einen durch die Einleitung eines sozialen wie wirtschaftlichen Entwicklungsprozesses, der es dann auch ermöglichte, sich diplomatisch und politisch selbstbewusster zu positionieren, sowie eine noch umfassendere Annäherung zwischen dem Königreich und den USA, so dass man auf Frankreich als Unterstützerland im UNO-Sicherheitsrat weniger angewiesen ist, wenn es um Fragen wie den Hoheitsanspruch Rabats auf die Westsahara / marokkanische Sahara geht. Marokko leidet zwar immernoch unter großen sozialen Unterschieden, einer hohen Jugendarbeitslosigkeit und einer noch unvollendeten Demokratisierung, ist aber sowohl politisch wie wirtschaftlich eines der stabilisten Länder des ganzen Kontinents.
Ebenso ist man auf Frankreich immer weniger angewiesen, wenn es um den technischen Wissenstransfer geht, denn die USA, aber auch China, Russland und nun auch Israel stehen jetzt als Partner zur Verfügung.
Der amtierende Präsident Macron hat es sich zum Ziel gemacht, einen Prozess der Aussöhnung mit Algerien einzuleiten, und könnte die Folgen für die Beziehungen zu Marokko unterschätzen.
Innenpolitisch wird das politische Erbe Macrons wohl nicht das Bild hinterlassen, was sich der relativ junge Präsident erhofft hat. Die angekündigten Reformen des Sozialsystems, in der Wirtschaft sowie eine allgemeine Aufbruchsstimmung konnte er nicht umsetzen bzw. erzeugen und sein wirtschaftlicher Hintergrund aus der Finanzwelt kam immer wieder durch, was zu nicht selten heftigen Ablehnung seiner Politik in der Bevölkerung geführt hat.
Auch die Rolle Frankreichs auf der Weltbühne und auf der afrikanischen Bühne im Besonderen wurde eher kleiner als größer. Immer wieder wurde Frankreich auch durch die Krisen der letzten Jahre, darunter die COVID-19 Krise, aber auch des Klimawandels besonders getroffen und die Defizite im Land wurde deutlich sichtbar.
Was machen viele Staatslenker in einer solchen Situation? Sie suchen sich ein neues, oft von historischer Bedeutung geprägtes Thema oder versuchen sich in der Außenpolitik, so auch Macron.
Neben mutmaßlichen Erfolgen auf der Ebene der EU gegen Deutschland und als Friedensvermittler im russisch-ukrainischen Krieg, im Sinne eines von Russland und von Putin akzeptieren Ansprechpartners, und jetzt als einer der wichtigsten Unterstützer der Ukraine, versuchte er den Aussöhnungsprozess mit Algerien einzuleiten, auch auf Kosten der eigentlich engen Beziehungen zu Marokko, ohne wirkliche Fortschritte im historisch belasteten Verhältnis zu Algerien bisher erzielen zu können, auch durch ungeschickte Äußerungen zur Legitimität der algerischen Führung selbst verursacht. Algerien hat sich inzwischen, anders als in Paris erhofft, für den eigenen wirtschaftlichen Wandel Italien zugewendet und anstatt französische Energiekonzerne ins Land zu lassen, Verträge mit von Rom unterstützten Partnern abgeschlossen.
Hier kritisiert der ehemalige „konservative“ Präsident Nicolas Sarkozy die Politik des amtierenden Präsidenten in seinem neuen Buch. Er ist nicht der erste prominente Politiker des Landes, der dies tut.
Nicolas Sarkozy warnt Macron vor einem umfassenden Verlust des Einflusses auf Nordafrika.
Der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy hat Emmanuel Macron in einem langen Interview mit der französischen Tageszeitung Le Figaro gewarnt.
Anlässlich der Veröffentlichung seines Buches „Le Temps des combats“ am 22. August 2023 warnte er Emmanuel Macron vor dessen „algerischem Tropismus“. Dies bedeute, dass „wir das Vertrauen Algeriens nicht gewinnen und das Marokkos verlieren werden“.
Diese Äußerungen reihen sich ein, in eine lange Reihe ähnlicher Reaktionen französischer Politiker und bekannte Persönlichkeiten.
In diesem ausführlichen Interview äußert sich der ehemalige Staatschef zu den wichtigsten aktuellen Themen.
Ex-Präsident Sarkozy kommt aber auch auf die Beziehungen zwischen Paris und Algier zu sprechen und damit auf den hohen Preis, den die französische Diplomatie für die schwierige Annäherung an das algerische Regime zum Nachteil Marokkos bereits zahlen würde und auch weiterzahlen könnte.
Für den ehemaligen Präsidenten wäre jeder Versuch, eine vernünftige und dauerhafte Beziehung zu Algerien aufzubauen, zum Scheitern verurteilt. „Wir sollten nicht versuchen, eine künstliche Freundschaft mit den algerischen Machthabern aufzubauen, die Frankreich systematisch als Sündenbock benutzen, um ihre eigenen Unzulänglichkeiten und ihre fehlende Legitimität zu verbergen“, warnt der ehemalige Bewohner des Élysée-Palastes. Für Sarkozy gebe es einen einfachen Grund: Es fehle schlicht an gutem Willen. „Die algerischen Machthaber haben ein zu großes Bedürfnis, von der Misere abzulenken, in der sie ihr Land gestürzt haben. Deshalb machen sie regelmäßig Frankreich für alles Schlechte verantwortlich“, sagt er.
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Revision der Verträge von 1968
Sarkozy ging im Interview noch weiter und verlangt eine Revision der Verträge von 1968, die den algerischen Staatsbürgern die Freizügigkeit in Frankreich erleichtern. Dies sei notwendig, da die algerischen Behörden die Rückkehr / Rückführung vieler algerischer Staatsbürger behindern. Gleichzeitig erlauben sie denjenigen, die das Land verlassen wollen, dies zu tun. Das sei so nicht mehr möglich, erklärt er.
Nicolas Sarkozy gehört zu denen, die angesichts der Algerienpolitik von Emmanuel Macron Alarm schlagen. Gerade aus der politischen Richtung der französischen Konservativen (Rechten), zu der auch der ehemalige Präsident gehört, kommt Kritik, z.B. vom ehemaligen französischen Botschafter in Algerien, Xavier Driencourt, oder Rachida Dati.
Beziehungen zu Algerien und Marokko zeitgleich belastet.
Der ehemalige Botschafter sprach eine Reihe von Warnungen aus. Die jüngste ist eine Analyse, die im Journal du Dimanche veröffentlicht wurde. Darin verweist er auf die ambivalenten Botschaften, die die algerische Führung an Frankreich sendet. Als Beispiel nennt er die Reise von Präsident Tebboune nach Paris, die zweimal verschoben und durch eine Reise nach Moskau ersetzt wurde. Es folgten provokative Entscheidungen wie das algerische Kommuniqué zur Unterstützung der Unruhen in Frankreich. Und in Bezug auf die Sahelzone „könnte Moskau Algier dazu drängen, sich den Putschisten in Niamey und denen in Bamako und Ouagadougou anzunähern, um uns zu schwächen”.
Am 7. August forderten 94 Abgeordnete unterschiedlicher politischer Couleur Präsident Macron in einem offenen Brief in der Zeitung Le Figaro auf, „die Politik Frankreichs in Afrika zu überdenken“. Ein prominentes Beispiel dafür sei Marokko.
Neben dem Werben Macrons um Algerien belasten weitere Fragen die Beziehungen zu Marokko.
Die Beziehungen zwischen Frankreich und Marokko sind erheblich belastet, auch wenn alles im Stillen abläuft, anders als bei der Krise mit Spanien.
Die aktuellen Ursachen sind die Pegasus – Abhöraffäre, die Verringerung der Rüstungskäufe Marokkos in Frankreich, der neue Wettbewerb um den Auftrag zum Ausbau des Schienennetzes sowie vor allem die Haltung Frankreichs zum Hoheitsanspruchs Marokko auf die Region Westsahara / marokkanische Sahara.
Bei der Pegasus-Affäre reagierte Frankreich auf mutmaßliche Abhöraktionen Marokkos unter Einsatz der israelischen Software Pegasus verärgert, und glaubte den Versicherungen der marokkanischen Führung sowie mutmaßlich höchsten Vertretern des Landes nicht, dass Marokko die Software nicht besitzen würde und auch nicht gegen Frankreich oder gar den französischen Präsidenten eingesetzt habe.
In Rabat fühlt man sich brüskiert und mit einer Arroganz von Seiten Paris konfrontiert, wenn selbst die Versicherungen von höchster Stelle nicht genügen und man das Gefühl vermittelt bekam, dass Spionagemaßnahmen nur in einer Richtung, nämlich ausgehend von Frankreich oder anderer ähnlicher Staaten akzeptiert werden, nicht aber von einem vermeintlichen ärmeren Land oder gar einer ehemaligen Kolonie. Das wird als Ausdruck einer Doppelmoral betrachtet, auch in Erinnerung an die sog. Crypto-Affäre.
Maghreb – CIA und BND hörten maghrebinische und andere Staaten ab.
Marokko reagierte darauf von höchster Stelle postwenden, durch die Öffnung der Projekte zum Ausbau des Schienennetzes, insbesondere Afrikas erster Hochgeschwindigkeitszugstrecke, für andere Anbieter außer Frankreich, darunter China, Korea und sogar Deutschland.
Zugleich wird die Bedeutung der französischen Sprache in Wirtschaft, Kultur und Bildung zu Gunsten der englischen Sprache reduziert.
Auch in Europa intensiviert man die Zusammenarbeit in wirtschaftlichen Fragen mit Deutschland und Großbritannien, anstatt mit Frankreich und erklärt Spanien zum neuen engsten Partner.
Auch gegenüber dem Präsidenten Macron wird man deutlich. Mehrfach hatte dieser Angekündigt, das nordafrikanische Königreich besuchen zu wollen, doch Marokko konnte keinen passenden Termin für einen Besuch Macrons finden, insbesondere nach seinem Besuchen in Algerien und betrachtet die Einschränkung der Visa-Vergabe als mutmaßliches Druckinstrument als Versuch der Demütigung und Ausdruck einer teilweise unveränderten Bewertung Marokkos als ehemalige Kolonie.
Aber von besonderer Bedeutung ist für Marokko die Haltung aller Partner und vor allem Frankreichs zum Hoheitsanspruch des Königreiches auf die Westsahara / marokkanische Sahara.
Nach der Anerkennung des Hoheitsanspruchs der USA und zuletzt Israels wünscht man sich einen vergleichbaren Schritt von Paris.
König Mohammed VI. höchst selbst hat 2022 klar gemacht, dass Partnerschaften durch „das Prisma“ der Westsahara / marokkanischen Sahara bewertet werden. Dies bedeutet, dass jedes Land oder jede Organisation, die mit Marokko gute Beziehungen pflegen möchte, die eigene Position zur Frage der Westsahara / marokkanischen Sahara klären und deutlich machen muss. Vor dieser Frage steht beispielsweise aktuell die Europäische Union bei der Aushandlung eines neuen Fischereiabkommens, dass aus Sicht Marokkos die Küsten vor der Westsahara / marokkanischen Sahara einbeziehen muss, was der EUGH in einem Urteil bisher abgelehnt hatte. Das Revisionsurteil wird im September erwartet.
Marokko – Fischereiabkommen mit der EU läuft zunächst weiter.
Entsprechende politische Anpassungen in dieser Frage, haben dazu beigetragen, nach langen diplomatischen Konflikten, die Beziehungen zu Spanien, den Niederlande oder auch Deutschland zu verbessern, die zumindest den bereits 2007 von Rabat vorgelegten Autonomieplan für die Westsahara / marokkanische Sahara unter marokkanischer Hoheit nahezu als gleichwertige oder gar beste Lösung für den Konflikt einstuften.
Die zögerliche Haltung von Macron und Paris wird in Rabat als Anbiedern gegenüber Algerien bewertet, das der wichtigste Unterstützer der Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario, die bewaffnet gegen Marokko kämpft, ist.
Geht es nach dem Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy begeht der Präsident einen großen strategischen Fehler, der nie wieder korrigiert werden oder dessen politischer Preis sehr hoch sein könnte.
Algerien benötigt die Annäherung zu Frankreich nicht, welche Innenpolitisch eher hinderlich sein könnte, und Marokko ist bereit, für seine „territoriale Integrität“ jeden nötigen Preis zu zahlen, dazu gehört notfalls auch ein Bruch mit Frankreich, das weiterhin erhebliche wirtschaftliche Interessen im Königreich hat.
Wie hoch der Preis für Frankreich werden könnte, könnte sich bereits im kommenden Jahr 2024 zeigen. Algerien ist dann für zwei Jahre Mitglied im UNO-Sicherheitsrat und unterstützt durch den engen Verbündeten Russland wird man von Seiten Algiers bemüht sein, die Westsahara – Frage so oft wie möglich auf die Tagesordnung zu setzen.
Algerien könnte für eine Verbesserung der Beziehungen zu Paris und Öffnung des eigenen Marktes für französische Unternehmen eine ablehnende Haltung zur Position Marokkos und den USA fordern, was sich wiederum Marokko sehr genau ansehen wird. Spätestens dann wird sich Macron entscheiden müssen, einen Schlingerkurs wie aktuell zu fahren, womit er nichts gewinnt, sich für Algerien zu entscheiden, ohne sich sicher zu sein, ob es dadurch zu einer dauerhaften Annäherung kommt oder das Ende oder Scheitern seiner Algerienpolitik auszurufen, um Marokko wieder nahezukommen, wobei Frankreich dadurch kaum wieder zum alten Einfluss auf das Königreich zurückkehren kann.