Bei der vierten UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Sevilla vertritt Regierungschef Akhannouch den König von Marokko. Im Mittelpunkt stehen strukturelle Reformen des internationalen Finanzsystems und die Interessen der Länder des Globalen Südens.
Sevilla – Marokkos Regierungschef Aziz Akhannouch ist am gestrigen Sonntag, den 29. Juni, im spanischen Sevilla eingetroffen, um König Mohammed VI. bei der Vierten Internationalen Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung (Financing for Development – FFD4) zu vertreten. Die Konferenz, die unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen vom 30. Juni bis 3. Juli 2025 stattfindet, bringt führende Vertreter aus Politik, Wirtschaft, internationalen Organisationen und Zivilgesellschaft zusammen, um über die künftige Ausgestaltung und Finanzierung nachhaltiger Entwicklungsziele zu beraten.
Neben Premierminister Akhannouch gehören der marokkanischen Delegation unter anderem Wirtschafts- und Finanzministerin Nadia Fettah, UN-Botschafter Omar Hilale sowie Frau Karima Benyaich, Botschafterin Marokkos in Spanien, an. Wie die staatliche Nachrichtenagentur MAP berichtet, nahm Regierungschef Akhannouch am offiziellen Eröffnungsabendessen im Königlichen Alcázar teil, das von König Felipe VI. und Königin Letizia zu Ehren der Staats- und Regierungschefs ausgerichtet wurde.
Wachsende Finanzierungslücke für Entwicklungsziele
Der Anlass der Konferenz ist der zunehmende Finanzbedarf zur Erreichung der globalen Entwicklungsziele. Laut UN-Generalsekretär António Guterres liegt das jährliche Finanzierungsdefizit der Entwicklungsländer mittlerweile bei rund vier Billionen US-Dollar, etwa 1,5 Billionen mehr als vor zehn Jahren. Das Ziel der Konferenz sei es, dieses Defizit zu adressieren und neue Wege zu finden, die internationale Finanzarchitektur nachhaltiger, gerechter und repräsentativer zu gestalten.
Guterres bezeichnete die Konferenz laut MAP als eine „einmalige Gelegenheit zur Reform eines internationalen Finanzsystems, das überholt und dysfunktional geworden ist“. Im Zentrum steht dabei die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, die ohne strukturelle Finanzreformen kaum erreichbar sei.
„Sevilla-Verpflichtung“ – Politische Erklärung für gerechtere Finanzarchitektur
Ein zentrales Ergebnis der Konferenz ist die sogenannte „Sevilla-Verpflichtung“, eine politische Erklärung, die bereits am 17. Juni 2025 in New York einstimmig angenommen wurde und nun offiziell in Sevilla verabschiedet wird. Der Text fordert unter anderem:
- eine bessere Vertretung der Länder des globalen Südens in internationalen Finanzinstitutionen,
- eine Verdreifachung der Kreditvergabe durch Entwicklungsbanken,
- sowie eine verstärkte internationale Zusammenarbeit zur Bekämpfung von Steuervermeidung und Kapitalflucht.
Die Erklärung wird durch die sogenannte Aktionsplattform von Sevilla (SPA) ergänzt, über die Länderkoalitionen, private Akteure und Organisationen der Zivilgesellschaft freiwillige Maßnahmen zur konkreten Umsetzung beisteuern sollen. Diese Maßnahmen sollen messbar und innovativ sein und reale Wirkung auf die nachhaltige Entwicklung haben.
Marokko positioniert sich als Stimme des Globalen Südens
Mit der aktiven Teilnahme an der FFD4 signalisiert Marokko seinen politischen Willen, sich in Fragen der internationalen Finanzordnung deutlicher zu positionieren. Während Industriestaaten wie Frankreich und Institutionen wie die EU-Kommission stärker auf eine Mobilisierung privater Investitionen setzen, betonen viele Staaten des Globalen Südens – darunter auch Marokko – die Notwendigkeit struktureller Reformen, insbesondere was Repräsentation und Zugänglichkeit zu Finanzmitteln betrifft.
Im Kontext der Konferenz hatte Premierminister Akhannouch auch die Möglichkeit zum bilateralen Austausch mit politischen Entscheidungsträgern aus Afrika, Europa und Südamerika. Die Teilnahme Marokkos an der Konferenz steht auch in Zusammenhang mit dem außenpolitischen Bestreben, sich in multilateralen Foren als vermittelnde Regionalmacht mit wirtschaftlichem Reformfokus zu etablieren.
Vom Plenum bis zum Wirtschaftsforum
Die Konferenz in Sevilla umfasst über 370 Veranstaltungen – darunter das Internationale Wirtschaftsforum, zahlreiche Rundtische, Sonderveranstaltungen zu Schulden, Kooperation und Handel sowie zivilgesellschaftliche Dialogformate. Am Eröffnungstag standen unter anderem Redebeiträge von Guterres, UN-Vollversammlungspräsident, Weltbankpräsident, IWF-Führungskräften und dem spanischen Regierungspräsidenten Pedro Sánchez auf dem Programm.
Die spanische Regierung nutzt ihre Gastgeberrolle aktiv, um sich als treibende Kraft für eine gerechtere globale Finanzordnung zu präsentieren. Premierminister Sánchez leitet mehrere Arbeitssitzungen und betont dabei die Bedeutung privater und öffentlicher Investitionen zur Verwirklichung der Agenda 2030.
Konferenz in Zeiten geopolitischer Umbrüche
Die Konferenz findet vor dem Hintergrund eines tiefgreifend veränderten globalen Umfelds statt. Der Ukraine-Krieg, wirtschaftliche Unsicherheiten, wachsende Schuldenlasten in Schwellenländern sowie die Nachwirkungen der COVID-19-Pandemie stellen viele Entwicklungsländer vor große Herausforderungen. In diesem Kontext gewinnt die Diskussion über globale Finanzgerechtigkeit neue Relevanz.
Die FFD4 ist die erste derartige Konferenz seit zehn Jahren – ihre Vorgängerin fand 2015 in Addis Abeba statt. Seither hat sich die digitale Wirtschaft ebenso gewandelt wie die geopolitische Rollenverteilung, was sich auch in den Reformforderungen der anwesenden Länder widerspiegelt.
Marokko als konstruktiver Akteur in globaler Reformdebatte
Die Teilnahme Marokkos an der FFD4-Konferenz unterstreicht das wachsende außenpolitische Profil des Landes im Rahmen multilateraler Plattformen. Mit einer hochrangigen Delegation bringt Marokko seine Positionen zur internationalen Entwicklungsfinanzierung ein – mit dem Fokus auf mehr Gerechtigkeit, Zugang und Wirkung für Länder mit begrenztem fiskalischem Spielraum.
Ob die Konferenz in Sevilla letztlich einen substanziellen Wandel in der internationalen Finanzarchitektur einleiten kann, wird maßgeblich von der Bereitschaft der Industriestaaten und multilateralen Finanzinstitutionen abhängen, anzupassen bestehende Macht- und Vergabestrukturen. Marokko hat jedenfalls seine Bereitschaft signalisiert, diesen Wandel aktiv mitzugestalten.