Unearthed und Public Eyes melden Export von in Europa verbotene auf Chlorpyrifos basierende Pestizide u.a. an Algerien und Tunesien.
Tunis – Eine aktuelle Studie der Greenpeace-Organisation Unearthed und der Schweizer Nichtregierungsorganisation Public Eye habe nach einem Bericht der tunesischen Nachrichtenagentur TAP aufgezeigt, dass europäische Unternehmen bis zum zweiten Halbjahr 2022 mehr als 380 Tonnen Chlorpyrifos-basierte Insektizide in Länder wie Tunesien, Algerien, Kasachstan, Bangladesch, Pakistan und Costa Rica exportiert haben. Insektenschutzmittel bzw. Pestizide auf Basis oder unter Verwendung von Chlorpyrifos seien in Europa verboten.
Die beiden NGOs haben nach eigenen Angaben Dokumente erhalten, aus denen hervorgehe, dass dieselben Unternehmen auch in diesem Jahr ähnliche Mengen liefern wollen.
Verwendung von Chlorpyrifos seit 2020 in Europa verboten. Weitere Lieferungen nach Tunesien geplant.
Nach jahrelangen Kampagnen von Gesundheits- und Umweltgruppen wurde die Verwendung von Chlorpyrifos in der EU seit 2020 verboten. Diese Studie zeige, nach Auffasung der Autoren, zum ersten Mal, dass Europa weiterhin Chlorpyrifos exportiert.
Unnearthed zufolge war Tunesien im Jahr 2022 der zweitgrößte Absatzmarkt für Chlorpyrifos-Exporte aus der EU. „Aus Belgien wurden 70 Tonnen Insektizide auf der Basis von Chlorpyrifos und Pyrical 480 (ein Insektizid, das sowohl durch Kontakt als auch durch Verschlucken wirkt) nach Tunesien exportiert“. Laut derselben Quelle plane das belgische Unternehmen Arysta LifeScience Benelux, eine Tochtergesellschaft des Pestizidriesen UPL, dieses Jahr die gleiche Menge nach Tunesien zu liefern.
Chlorpyrifos steht im Verdacht neurologische Schäden bei Menschen auszulösen.
Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass Chlorpyrifos in der EU verboten wurde, weil es wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge „schädliche Auswirkungen auf die neurologische Entwicklung von Kindern“ habe. Die Aufnahme des Pestizids sei schädlich für Säuglinge und Kleinkinder, beginnend im Mutterleib. Laut unearthed.greenpeace.org sei auch ein Zusammenhang zwischen der Aufnahme dieser Chemikalie vor der Geburt und Entwicklungsverzögerungen, Autismus und einer Verringerung des Intelligenzquotienten bei Kindern festgestellt worden.
EU warnt vor dem Import von Obst und Gemüse aus Tunesien, welche mit Pestiziden auf Chlorpyrifos behandelt wurden.
Europa weigere sich, Orangen aus Tunesien zu importieren, die mit den verbotenen Pestiziden behandelt wurden.
So veröffentlichte die französische Regierung am 7. März 2023 auf ihrer Website „Rappel Conso“ eine Warnung bzw. Aufforderung, bestimmte Lieferungen tunesischer Orangen vom französischen Markt zu nehmen, da sie einen hohen Gehalt an Rückständen aufwiesen.
Laut einer Reaktion des tunesischen Branchenverbandes Groupement Interprofessionnel des Fruits (GIFruits) wurde in Frankreich nur ein Trailer mit 20 Tonnen Orangen vom Markt genommen. Grund dafür sei aber, wie die TAP weiter berichtet, die Schwarzfleckenkrankheit der Zitrusfrüchte, die so genannte „Citrus Black Spot CBS“, gewesen. „Nur 10 Paletten wurden von einigen Supermarktketten vom Markt genommen. Deren Qualitätskontrollabteilungen haben Analysen durchgeführt, die zeigten, dass die Rückstandshöchstgehalte als ’signifikant‘ eingestuft wurden“, wird der Verband zitiert.
Semia Gharbi, Umweltwissenschaftlerin und Präsidentin der Vereinigung für Umwelterziehung zukünftiger Generationen (Association pour l’éducation environnementale pour les générations futurs, AEEGF), habe jedoch gegenüber Unearthed und Public Eye erklärt, dass die Lieferung tunesischer Orangen tatsächlich zurückgewiesen wurde, „weil sie Rückstände von Chlorpyrifos enthielt“.
Um sicherzustellen, dass in der EU verbotene Chemikalien weder hergestellt noch exportiert werden, hatte die Europäische Kommission versprochen, bis 2020 Gesetzesvorschläge vorzulegen. Passiert ist aber nichts.
In einem aktuellen Briefwechsel, der TAP vorliege, habe EU-Umweltkommissar „Virginijus Sinkevičius“ versprochen, dass sich die Kommission voll und ganz dafür einsetzen werde bzw. plane, dem Europäischen Parlament und dem Rat im Jahr 2023 einen Vorschlag zu unterbreiten.
Die Aktivistinnen und Aktivisten befürchten, dass der Vorschlag zu spät kommt, um eine Gesetzesänderung noch vor den nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahr 2024 zu ermöglichen. Eine öffentliche Konsultation zu dem Plan sollte im ersten Quartal 2023 beginnen, wurde aber noch nicht eingeleitet.