Trotz beachtlicher Fortschritte im sozial- u. Gesundheitssystem bleibt ein großer Teil der Bevölkerung ohne Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung. Der Wirtschafts-, Sozial- und Umweltrat CESE fordert umfassende Reformen.
Rabat – Die Einführung der allgemeinen Krankenversicherung (AMO) in Marokko wird als eine der bedeutendsten sozialen Errungenschaften in der modernen Geschichte des Landes gefeiert. Laut Ahmed Réda Chami, Präsident des Wirtschafts-, Sozial- und Umweltrats (CESE – Conseil économique, social et environnemental), ist der Anteil der Bevölkerung, die in das Krankenversicherungssystem integriert ist, von weniger als 60 % im Jahr 2020 auf 86,5 % gestiegen, zitiert ihn die marokkanische-staatliche Nachrichtenagentur MAP bei der Vorstellung der Ergebnisse seiner Analyse zur „Verallgemeinerung der AMO, Fortschrittsbericht: zu konsolidierender sozialer Fortschritt, zu bewältigende Herausforderungen“.
Doch trotz dieses Fortschritts bleibt eine alarmierende Zahl von Menschen ungeschützt. „Rund 8,5 Millionen Bürgerinnen und Bürger haben aus unterschiedlichen Gründen keinen Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung“, erklärte Chami während seiner Präsentation in Rabat. Dazu gehören fünf Millionen Menschen, die nicht registriert sind, sowie 3,5 Millionen Personen, die sich in einer sogenannten „Situation geschlossener Rechte“ befinden.
Diese Zahlen zeigen, dass es noch erheblicher Anstrengungen bedarf, um die AMO flächendeckend wirksam zu machen. Der Rat hebt hervor, dass das Projekt der allgemeinen Krankenversicherung den sozialen Schutz erheblich verbessert hat. Dennoch betont er, dass Herausforderungen wie die Qualität der Gesundheitsversorgung, der Zugang zu medizinischen Dienstleistungen und die finanzielle Belastung für Versicherte gelöst werden müssen, wie MAP weiter berichtet.
Hohe Eigenkosten belasten Haushalte
Eine der größten Herausforderungen bleibt die finanzielle Belastung der Bevölkerung. Nach Angaben des CESE tragen die Versicherten in Marokko immer noch bis zu 50 % der Gesundheitskosten selbst. „Diese Zahl liegt weit über der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen Obergrenze von 25 %“, so Chami laut MAP weiter.
Die finanziellen Hürden zwingen viele Menschen dazu, auf dringend benötigte medizinische Versorgung zu verzichten. „Das Gesundheitssystem muss inklusiver und nachhaltiger gestaltet werden“, betonte Chami weiter, wie Le360 nach einem Interview mit den Vorsitzenden berichtet. Eine Überarbeitung des rechtlichen Rahmens und eine Diversifizierung der Finanzierungsquellen für die AMO sind zentrale Empfehlungen des Rats.
Zudem schlägt der CESE vor, die Erstattungssätze für medizinische Verfahren und Untersuchungen zu verbessern. Insbesondere sollen lebenswichtige Vorsorgeuntersuchungen, etwa zur Früherkennung von Krebs und Herzerkrankungen, vollständig abgedeckt werden. „Diese Maßnahmen würden nicht nur die Gesundheit der Bevölkerung fördern, sondern auch die Attraktivität des öffentlichen Gesundheitssystems stärken“, berichtete Le360 weiter.
Reformen für ein inklusives System dringend nötig
Der Wirtschafts-, Sozial- und Umweltrat fordert die Einführung eines einheitlichen Krankenversicherungssystems, das auf Solidarität und Komplementarität basiert. Dazu gehört auch ein freiwilliges Zusatzversicherungssystem, das den Versicherungsschutz erweitern soll.
Ein weiterer Vorschlag betrifft die Abschaffung der geschlossenen Ansprüche, um sicherzustellen, dass alle Bürger dauerhaft Zugang zum Gesundheitssystem haben. Um die AMO nachhaltig zu finanzieren, empfiehlt der CESE laut Le360 eine Diversifizierung der Einnahmequellen. Gleichzeitig soll der Zugang zu erschwinglichen Medikamenten durch die Förderung der nationalen Generikaproduktion gestärkt werden.
Chami hob auch hervor, dass die Verwaltungsstrukturen in Marokko große Fortschritte gemacht haben. Die CNSS (Caisse nationale de sécurité sociale) bearbeitet mittlerweile rund 100.000 medizinische Akten pro Monat – ein bedeutender Erfolg in der Effizienz der Krankenversicherungsverwaltung, wie MAP hervorgebt.
Wirtschafts-, Sozial- und Umweltrat
Trotz der beachtlichen Fortschritte bei der Ausweitung der gesetzlichen Krankenversicherung bleibt die vollständige Umsetzung der AMO eine Herausforderung. Der CESE macht deutlich, dass die Einführung eines verpflichtenden Systems für alle Bürgerinnen und Bürger unerlässlich ist.
„Die AMO ist ein sozialer Fortschritt, doch wir müssen die Lücken schließen, um wirklich alle zu erreichen“, betonte Chami im Interview mit Le360. Es bleibt abzuwarten, ob die vorgeschlagenen Reformen die gewünschte Wirkung zeigen. Klar ist jedoch: Ein inklusives und effizientes Gesundheitssystem ist der Schlüssel zu einer nachhaltigeren sozialen Entwicklung in Marokko.
Das Video zur Vorstellung des Berichts finden Sie (hier klicken)