141 Staaten stimmten für sofortige Beendigung der Kampfhandlungen in der Ukraine und verurteilen Russland als Aggressor. Marokko gibt seine Stimme nicht ab.
New York – Es war eine seltene Einigkeit der Mitglieder der Vereinten Nationen bei der eilig einberufenen Vollversammlung. Auf Antrag der USA und weitere Länder wurde die UNO-Vollversammlung für den gestrigen 2. März 2022 einberufen, um über die Ereignisse in der Ukraine sowie das Verhalten Russlands zu beraten und zu einer Resolution zu kommen. Ein erster Vorstoß der USA und Albaniens im UN-Sicherheitsrat scheiterte am Veto-Recht Russlands und an Enthaltungen von China, Indien und den Vereinigten Arabischen Emiraten.
In der UNO-Vollversammlung gibt es kein Veto-Recht, so dass Russland eine Entscheidung nicht blockieren konnte. Die UNO-Vollversammlung trat in dieser Form und mit einer solchen Zielsetzung erst zum 11. Mal in 70 Jahren zusammen.
UNO-Vollversammlung verurteilt mit sehr großer Mehrheit russischen Angriff auf die Ukraine
Alle Mitgliedsstaaten waren dazu aufgefordert sich zum Krieg in der Ukraine zu positionieren. Mit 141 von 193 möglichen Stimmen würde das russische Verhalten verurteilt und ein sofortiges Ende der Kampfhandlungen in der Ukraine gefordert. Selbst Israel stimmte für die Resolution, obwohl sich das Land, als engere Verbündeter der USA, bisher nicht an den Sanktionen gegen Russland beteiligt. Nur fünf Länder lehnten den Resolutionsentwurf ab, darunter Belarus, Nordkorea, Eritrea, Syrien und Russland selbst. Weiter 35 Länder enthielten sich, darunter vor allem China, Armenien, Kuba, Indien, Irak, Iran, Südafrika und der Senegal. Die Resolution ist durch eine fehlende Bestätigung des UN-Sicherheitsrat nach dem Völkerrecht nicht binden, so dass sich rechtlich für Russland nichts ändert, aber moralisch vielleicht schon.
Keine Stimmabgabe von Marokko
Die Maghrebstaaten verhielten sich uneinheitlich. Während Tunesien für die Annahme der Resolution stimmte, enthielt sich Algerien, aber Marokko wählte mit einigen wenigen anderen Ländern einen Sonderweg. Das Königreich nahm an der Abstimmung erst gar nicht teil, genauso wie z.B. Bukina Faso, Äthiopien, Togo oder Venezuela. Gerade die fehlende Stimmabgabe Marokkos löste Rückfragen aus, da das nordafrikanische Königreich zu den engsten verbündeten der USA zählt, die die Verurteilung Russlands maßgeblich vorangetrieben haben und auch and er Spitze der Staaten stehen, die mit Sanktionen Russland für den militärischen Einmarsch in die Ukraine bestrafen wollen.
Marokkanisches Außenministerium nimmt Stellung zum Verhalten in der UNO-Vollversammlung
„Das Königreich Marokko hat beschlossen, sich nicht an der Abstimmung über diese Resolution zu beteiligen,“ heißt es in einer Erklärung des marokkanischen Außenministeriums vom Abend des 2. März 2022, die auf der eigenen Webseite und über die staatliche Nachrichtenagentur MAP veröffentlicht wurde.
„Die Nichtteilnahme Marokkos kann nicht zum Gegenstand irgendeiner Interpretation im Zusammenhang mit seiner prinzipiellen Position in Bezug auf die Situation zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine gemacht werden, wie sie im Kommuniqué des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, afrikanische Zusammenarbeit und im Ausland lebende Marokkaner vom 26. Februar 2022 bekräftigt wurde“, heißt es weiter.
Nordafrikanisches Königreich betont die UN-Charta und ruft zu Frieden auf.
Das Königreich Marokko verfolgt die Entwicklung der Situation zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine weiterhin mit Besorgnis und Sorge. Das Königreich bedauert die militärische Eskalation, die bis heute leider Hunderte von zivilen Toten und Tausende von Verletzten gefordert und menschliches Leid verursacht hat. Diese Situation wirkt sich auch auf alle Bevölkerungen und Staaten der Region und darüber hinaus aus, so das Ministerium in der Erklärung.
„Das Königreich Marokko bekräftigt sein starkes Engagement für die Achtung der territorialen Integrität, der Souveränität und der nationalen Einheit aller Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen.
Marokko erinnere daran, „dass die Mitglieder der Organisation gemäß der Charta der Vereinten Nationen ihre Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln und nach den Grundsätzen des Völkerrechts beilegen müssen, um den Frieden und die Sicherheit in der Welt zu wahren,“ heißt es weiter.
„Das Königreich Marokko habe sich stets bemüht, die Nichtanwendung von Gewalt zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Staaten zu fördern. Das Königreich ruft dazu auf, den Dialog und die Verhandlungen zwischen den Parteien fortzusetzen und zu intensivieren, um diesen Konflikt zu beenden, und ermutigt alle Initiativen und Maßnahmen zu diesem Zweck.“
„Darüber hinaus hat das Königreich Marokko als Antwort auf den Aufruf des UN-Generalsekretärs beschlossen, einen finanziellen Beitrag zu den humanitären Bemühungen der Vereinten Nationen und der Nachbarländer zu leisten,“ so die Stellungnahme abschließend.
Keine konkreten Gründe für das fehlende Abstimmungsverhalten genannt.
Wer die Erklärung so liest, hat zunächst den Eindruck, dass auch Marokko die Gewalt in der Ukraine verurteilt, und dem ist sicherlich auch so, doch bei genauerem Hinsehen wird das Dilemma deutlich, in dem Marokko sich sieht.
Es achten peinlich darauf, keiner Partei eine Schuld zuzuweisen und sich auf keine Seite eindeutig zu stellen, außer auf die Seite der UNO-Charta. Damit betont das nordafrikanische Königreich natürlich die Bedeutung von Frieden und seinen Wunsch nach dem Ende der Gewalt in dem Land, setzt sich aber zugleich zwischen die Stühle aller Parteien in diesem Konflikt. Da sind der sog. Westen mit den Staaten der EU und vor allem die USA an der Spitze auf der einen Seite, die Atommächte Indien, Pakistan und China auf der anderen Seite.
Zusätzlich gibt es, eine fehlende Einigkeit der Afrikanischen Union, die mehrere Mitglieder hat, die eng mit Russland in Sicherheitsfragen, Waffen und militärischer Ausbildung kooperieren sowie die Golfstaaten, die sich nicht mehr nur auf die USA als Sicherheitsgaranten für ihre Regime verlassen wollen, die die Nähe zu Russland und China in der Vergangenheit gesucht haben und bei Öl im OPEC+ Format mit Russland zusammenarbeiten und daher wenig Interesse an einer Umsetzung der Sanktionen gegen Moskau haben. Nicht zuletzt profitiert die OPEC während der Krise von gestiegenen Preisen am Energiemarkt. Marokko will und kann sich nicht deutlich auf eine politische Seite stellen, da es in Abhängigkeit all dieser Interessengruppen steht.
Abhängigkeiten sind kompliziert und Vielfältig
Große Teile der Weizenimporte kommen aus Russland und der Ukraine, was in einem Dürrejahr noch von großer Bedeutung sein könnte. Gas und Öl sowie Investitionen und direkte Finanzmittel kommen aus den Golfstaaten, Handelsbeziehungen mit Asien, vor allem China und Indien, Sicherheitskooperation im Kampf gegen den Terrorismus mit Pakistan und Handelskooperationen mit der EU sind zu bedenken.
Zugleich ist das Verhältnis zu den USA merklich unter der Biden-Administration abgekühlt. So hat sich Washington etwas von der Unterstützung der territorialen Integrität inkl. der Westsahara / marokkanischen Sahara gelöst, Washington hat Druck auf Rabat ausgeübt, den eigentlich nicht gewollten neuen UN-Sondergesandten für die Westsahara zu akzeptieren, der US-Kongress hat Finanzmittel für gemeinsame militärische Manöver eingeschränkt und bis heute gibt es weder in Dakhla noch in Laayoune die versprochene konsularische Vertretung der USA oder die angekündigten wirtschaftlichen Investitionen. Alles Punkte die Teile der Verabredungen mit der USA gewesen sind, um die Beziehungen mit Israel zu normalisieren.
Ebenfalls irritiert hat die afrikanische und arabische Welt wahrgenommen, dass Kriege und Interventionen durch die Supermächte von den westlichen Ländern unterschiedlich bewertet werden. In den sozialen Netzwerken tauchen immer wieder Hinweise auf ähnliche Situationen und großes Leiden in Syrien, dem Irak, Libyen und in zahlreichen Ländern der afrikanischen Union auf. Auch wie zuletzt afrikanische Flüchtlinge bei ihrer Flucht aus der Ukraine an den Grenzen der EU behandelt worden sein sollen, hat offensichtlich zu einer mehr neutralen Haltung bei einigen Ländern geführt.
Marokko – Außenministerium nennt Ukraine-Krieg besorgniserregend.