Das unter der Schirmherrschaft von König Mohammed VI. stehende Festival in der Nähe von Tanger zeigt, wie vielfältig und ursprünglich das Land noch ist – mit all seinen Vor- und Nachteilen.
Gastautorin Dr. Stefanie Claudia Müller
Tanger – „Mata“ ist ein vor Jahrhunderten überlieferter Brauch zur Völkerverständigung, der in Marokko geprägt wird von Jebala, einem Bergvolk/Stamm aus der Rif-Region. Das jährlich im Frühling in dem bei Tanger gelegenen Dorf Zniyed stattfindende Pferde-Festival wurde von der Islamic World Educational, Scientific, and Cultural Organization (ISESCO) bereits als besonderes Kulturerbe anerkannt.
„Mata“ ist eine wilde und für ausländische Gäste exotisch anmutende Angelegenheit, die auch von König Mohammed VI. höchstpersönlich gefördert wird. Sein Bild ist überall auf dem Reitgelände zu sehen. Es ist eine arabisch-asiatische Tradition, die von der einflussreichen marokkanischen Familie Baraka vor 12 Jahren wiederbelebt wurde.
Die Veranstalter sind Nachkommen des Poeten Moulay Abdeslam stehen dem Monarchen sehr nah. Nabil Baraka nutzte den Event in diesem Jahr deswegen auch, um den Sufismus zu fördern, den moderaten und sehr spirituellen Zweig des Islams. „Wir wollen hier Liebe und Frieden verbreiten“, lässt er wissen. Marokko bewirbt sich mit „Mata“ seit langem auch um die Anerkennung durch die UNESCO als immaterielles Kulturerbe, was für die gesamte ländliche Tanger-Region touristisch sehr wichtig wäre.
Ein Akt der Völkerverständigung auf dem Rücken der Pferde
Die Offenheit Marokkos gegenüber anderen Religionen wird dadurch deutlich, dass bei „Mata“ auch Vertreter der christlichen und buddhistischen Strömungen anwesend sind. Gekommen sind sie aus aller Welt, untergebracht in den historischen Hotels Minzah und Villa de France. Ohne Scheu spricht Baraka die aktuellen Konflikte an und nutzt die Gelegenheit, Marokko vor Vertretern der Europäischen Union, Botschafter und Kirchen als Friedensstifter zu präsentieren. Derweil sind jedoch einige Zuschaueber über den fehlenden Tier- und Menschenschutz bei „Mata“ entsetzt. Der Wettbewerb ist nicht ungefährlich, da ohne Helm geritten wird. Bei „Mata“ gehen die Pferde ab und an durch, geritten wird ohne Sattel und teilweise haben die Tiere auch kein richtiges Geschirr an, was den internationalen Zuschauer durchaus schocken kann. Angetrieben wird mit einem peitschenden Weidenstock. Gewinner ist derjenige, der die von den Frauen der Reiter-Familien selbstgenähte Puppe „Mata“ in einem wilden Lauf an sich reißen kann. Sie repräsentiert Fruchtbarkeit und Wohlstand.
330 Reiter traten hier in diesem Jahr an, um den nach offiziellen Angaben rund 300.000 Besuchern ihre Fähigkeit auf dem Pferd zu beweisen. Für Baraka geht es bei „Mata“ vor allem um Spiritualität. Sein Vater vertrat den Sufismus-Zweig Shadhiliya, eine Glaubensbewegung, die einige mit Yoga und Buddhismus in Verbindung bringen.
Tradition und Fortschritt stehen sich gegenüber.
„Mata“ ist wie das Rückversetzen in eine andere Zeit. Die auf dem zwischen grünen Hügeln aufgeschlagenen Zelte der verschiedenen Reitergruppen und ihre ländlich bunte Leinen-Kleidung erinnern die Besucher aus Spanien, der Schweiz, Belgien und Irland an die Mongolei, haben ihren Ursprung nach Überlieferungen aber in Afghanistan. Die Gesichter der Reiter sind rau und mit Falten durchfurcht.
Die Frauen sind weiß gekleidet, mit dem traditionellen bunten Bommel-Hut. Sie verkaufen auf dem Markt ihre regionalen Produkte oder sitzen auf der Erde zusammen, um ihre Männer zu bestaunen. Die Kinder amüsieren sich auf einer sehr einfachen Dorfkirmes weiter unten von der Rennbahn, was eigentlich nur ein weites amateurhaft abgestecktes Feld ist. Frauen können bei „Mata“ auch mitreiten. Bisher hat sich das aber nur eine getraut, die wegen gesundheitlicher Gründe jedoch nicht mehr antreten kann, aber immer noch als Heldin gefeiert wird.
Aus einem chaotischen Event wurde ein international anerkanntes Spektakel
So wurde im Laufe der Zeit aus dem anfänglich chaotischen Event ein internationales Fest der Völkerverständigung, wo auf der einen Seite in der Region Larache einfache Dorfmenschen mit verschiedenen Ethnien zusammenkommen und auf der anderen Seite in Festzelten Prominente aus aller Welt. Bei Tee und Gebäck erfahren sei von Baraka über den religiösen und politischen Hintergrund von „Mata“.
In diesem Jahr sind auch viele Spanier dabei, die ihre historischen und wirtschaftlichen Verbindungen pflegen wollen, auch zu dieser dem König nahestehenden Künstlerfamilie. Gerade bei solchen Zusammentreffen wird aber auch deutlich, wieviel arabische Kultur in der spanischen steckt. Im südlichen Andalusien, gegenüber von Tanger, in Rocio wird ebenfalls ein Pferdekult gepflegt, der inzwischen Menschen aus aller Welt anlockt. In diesem Fall ist der Hintergrund christlich und basiert auf dem ausgeprägten Marienkult der Spanier. In Rocio gibt es Maria zu Ehren Umzüge mit Pferden, die zudem in dem gegenüber vom Naturschutzpark Doñana Dorf als Haupttransportmittel für die Einwohner dienen. Tierschützer haben aber auch hier Zweifel, dass sie artgerecht behandelt und gehalten werden. In Zniyed versuchen immerhin Sicherheitsleute auf dem freien Feld das Schlimmste zu vermeiden und vor allem die Autoritäten vor den wilden Tieren und Reitern zu schützen. Dennoch passiert immer wieder etwas. Einmal musste ein Pferd wegen Sturzes direkt erschossen werden, dieses Jahr rannte ein Tier gegen die Barrikaden und verletzte einige Menschen.
Kultur hat einen heilenden Effekt.
Aber Nabil Baraka kann nichts aus der Ruhe bringen. Er strahlt diese Ruhe und Freundlichkeit aus, die er sich von anderen wünscht: „Das Festival „Mata“ vereint Ehre und Patriotismus“, sagt er. „Wir sind stolz Marokkaner zu sein, weil wir eine offene und friedliche Gesellschaft sind, die auch deswegen so viele Millionen Touristen aus aller Welt nach Marokko bringt“, lässt er das illustre Publikum aus Schauspielern, Klatschreportern und Kirchenvertretern wissen. Tanger, wo die Familie wohnt, ist das beste Beispiel für die Brücke, die das Königreich mit solchen Events auch nach Europa schlagen kann. Von dem auf einem Hügel gelegenen Hotel Villa de France ist Spanien zu sehen, das noch immer von vielen Marokkaner bewundert wird. Trotz allem Fortschritt in Marokko und eines moderaten Islams flüchten immer noch Tausenden jedes Jahr auf die andere Seite, um ihrer in Marokko zurückgelassenen Familie durch die Zusendung von Geld ein besseres Leben zu ermöglichen. Auch das ist Teil der Realität der marokkanisch-europäischen Beziehungen und auch von „Mata“, wo der Einkommensunterschied der Unter- und Oberschicht deutlich sichtbar wird zwischen Festzelt und Pferderennen. Aber all das rückt für den Sieger des diesjährigen Wettbewerbs in den Hintergrund. Ahmed Jomaa hat Geld und Weizen gewonnen, für sich und sein Dorf.
Gastautorin Dr. Stefanie Claudia Müller – Business Journalist mit Sitz in Madrid