StartGesellschaftMarokko – Schwieriger Zugang zu Visa schränkt Exportwirtschaft, Künstler und Touristen ein.

Marokko – Schwieriger Zugang zu Visa schränkt Exportwirtschaft, Künstler und Touristen ein.

Gesetzeslücke und Desinteresse begünstigen das "Geschäftsmodell" von unautorisierten Terminvermittlern.

Wirtschaftsakteure, Künstler, Touristen, Familiengehörige und Studenten beklagen Probleme bei der Visa-Beschaffung und Machenschaften von Terminvermittlern. Schengen-Staaten und marokkanische Regierung reagieren nur zögerlich.

Rabat – Immer wieder kommt es zu Berichten über Probleme bei der Beantragung von Visa für den Schengenraum. Aktuell klagen Exporteure aus dem Landwirtschaftssektor über die Situation, nicht zum ersten Mal.
Erneut berichten marokkanische Exporteure über ihre Besorgnis darüber, dass sie aufgrund von Problemen bei der Visa-Beschaffung nicht an europäischen Messen teilnehmen können. In erster Linie scheint es um Termine bei Botschaften und Konsulaten zu gehen, die kaum oder gar nicht mehr zu bekommen sind. Zuerst habe es Probleme bei interkontinentalen Speditionen gegeben, die Schwierigkeiten hatten, Visa für ihre LKW-Fahrer zu bekommen. Heute ist es für marokkanische Unternehmer und Führungskräfte unmöglich, einen Termin für die Beantragung eines Visums zu erhalten. Sie sind aber nicht die einzigen Betroffenen.

Visa-Vermittler verknappen den Zugriff auf Antragstermine.

Wie schon vor einigen Monaten gibt es wieder zahlreiche unautorisierte Vermittler, die die Nachfrage nach Antragsterminen und Visa für ihr Geschäftsmodell teils „skrupellos“ nutzen.

Die autorisierten Vermittler sind im Auftrag oder mit Duldung von Botschaften und Konsulaten tätig, eigentlich mit dem Ziel die Effizienz bei der Antragsbearbeitung zu verbessern.

Doch immer mehr unautorisierte vermeintliche Vermittler sollen ständig auch ohne Antragssteller über das Internet Terminen auf Vorrat blocken. Teilweise werden dafür automatisierte Verfahren mit Hilfe von Bots eingesetzt, die mit hoher Geschwindigkeit freie Termin erkennen und reservieren. Diese werden dann zu überhöhten Preisen weiterverkauft. Zahlreiche Länder haben diesen Prozess der Terminvergabe ausgelagert, darunter auch Deutschland, was solchen Geschäftsmodell Tür und Tor geöffnet hat.

So sind viele marokkanische Wirtschaftsakteure nicht in der Lage, auf dem eigentlich vorgesehenen Weg an Termine zu kommen, sondern müssen teils hohe Vermittlungszahlungen leisten. Damit werden sie indirekt daran gehindert, an europäischen Messen teilzunehmen, die einen großen Teil ihres Umsatzes ausmachen.

Nichtteilnahme an Messen verhindert Kundenkontakt vor Ort und wirtschaftlichen Erfolg.

„Wir können dieses Jahr nicht an der Fruit Attraction in Madrid teilnehmen, weil die Konsulate so chaotisch sind. Es ist unmöglich, einen Termin zu bekommen, um ein Visum zu beantragen. Das ist sehr schade, da wir hauptsächlich mit europäischen Kunden Geschäfte machen“, wird ein Exporteur aus dem Norden des Landes vom Nachrichtenmagazin Telquel zitiert.

Ein anderer Aussteller berichtet: „Wie viele andere Exporteure, deren Visum abgelaufen ist, werde ich zum ersten Mal seit der Gründung meines Unternehmens nicht an der Fruit Attraction teilnehmen können. Es gibt Sonderregelungen für Aussteller, die von den Veranstaltern oder den Handelskammern getroffen werden, aber das gilt nicht für alle Besucher der Messe”.

„Die Exporteure lehnen das Spiel der Vermittler ab, auch wenn diese Messen echte Möglichkeiten für Austausch, Networking und Handel bieten. Wir lassen uns nicht von illegalen Vermittlern erpressen und zahlen auch nicht für eine so grundlegende Dienstleistung”.

Er habe hinzugefügt: „Wir können es uns nicht leisten, wichtige Veranstaltungen wie die Fruit Attraction in Madrid oder die Fruit Logistica in Berlin zu verpassen, um Kontakte zu knüpfen und Kunden zu gewinnen. Diese beiden Veranstaltungen sind ein Muss für die Fachwelt der Agrar- und Ernährungswirtschaft. Man braucht Monate, um das zu tun, was in wenigen Tagen möglich wäre. Dabei ist Marokko einer der wichtigsten Agrarexportpartner der Europäischen Union.

Marokko schließt immer mehr Agrarabkommen mit seinen europäischen Nachbarn, wie auf der letzten Internationalen Landwirtschaftsmesse (SIAM) in Meknes zu sehen war. Die durch die Visakrise verursachte Verzögerung könnte die Entwicklung der marokkanischen Exporte ernsthaft beeinträchtigen.

Auch Künstler, Touristen, Studenten und Familienangehörige betroffen.

Die Probleme sind bereits länger ein Thema und betreffen alle Gruppen, nicht nur Exporteure. So bezieht sich die Deutscher Welle in einem Bericht auf eine Äußerung der Künstlerin Dounia Boutazout. Sie habe auf dem sozial Media Kanal Instagram ihre Erfahrungen gepostet. Es sei eine Katastrophe habe sie geschrieben. Nach ihren Angaben werden Termine teils für einen Preis von 11.000 marokkanische Dirham MAD, derzeit ca. 1.017, -€*, verkauft. Für eine geplante Tournee habe sie versucht bei einer der offiziellen Terminplattformen einen Termin zu bekommen, dass sei aber nicht möglich gewesen. Den „Vermittlungsbetrag! wollte sie nicht zahlen. Die Folge war eine Absage der Tournee und hohe finanzielle Einbußen.
Auch die MAGHREB-POST erreichten in den letzten Wochen Berichte, wonach es unmöglich sei, an Termine für eine Visabeantragung zu kommen. So konnte eine Mutter in Marokko lebend ihre Tochter in Deutschland in diesem Sommer nicht besuchen, obwohl dies über Jahre problemlos möglich war.
In einem anderen Fall zieht sich die Familienzusammenführung bei einem jungen Paar jetzt über Monate, obwohl Spracheignung und alle anderen wirtschaftlichen Voraussetzungen gegeben sind, nur weil es nicht möglich ist, einen Termin zu Antragsstellung zu erhalten. Betroffen sind auch Studenten, deren Semester in kürze beginnt, die aber nicht wissen, wann sie ausreisen können.

Gesetzeslücke und Desinteresse begünstigen das „Geschäftsmodell“.

Derzeit ist dieses gesamte Thema nicht reglementiert. Es ist aktuell weder verboten eine hohe Anzahl von Terminen zu blocken noch diese im Anschluss zu einem frei wählbaren Preis weiterzuverkaufen.
Vor allem die nicht autorisierten Akteure auf diesem Markt achten darauf, keine konsularischen Dienste anzubieten, sondern lediglich als Vermittler zu agieren und dafür ein Honorar zu verlangen.

Es gibt aber auch autorisierte Dienstleister die von den Konsulaten bereits vor Jahren beauftrag worden sind. Ziel sei es gewesen, dass solche Dienstleister nur Anträge weiterleiten, deren Vollständigkeit vorab geprüft sei. Dies würde in den Botschaften und Konsulaten Zeit sparen.

Für Deutschland ist der Dienstleister TLScontact tätig. Weitere Dienstleister für andere Länder des Schengenraums sind BLS International und BLS Global. Auch diese erheben Gebühren für die Vorabbearbeitung für einen Antrag und einen Termin, wobei die Gebühren mit der Länge des Aufenthalts im Schengenraum steigen.

Den meisten Vertretungen ist das Thema augenscheinlich nicht unbekannt. Doch erst wenige Länder haben Schritte unternommen.
Gegenüber der Deutschen Welle hat Deutschland lediglich angekündigt, dass man an einer Lösung des Problems arbeiten würde, ohne Angaben wie und bis wann dies geschehen werde.
Spanien hingegen hat seine technische Plattform umgebaut. Der Dienstleister BLS International, der im Auftrag des Königreiches Spanien tätig ist, verlangt jetzt, dass jeder Termin mit einem Namen und einem Foto des Antragsstellers verknüpft werden muss, welches dann mit dem Passfoto verglichen wird, so können Bots die Termine nicht einfach blocken. Italien hat den Dienstleister gewechselt und hofft so eine Verbesserung herbeiführen zu können.

Keine Reaktion von marokkanischer Seite

Von Seiten der marokkanischen Behörden gab es bisher auch keine nennswerte Reaktion, obwohl das Thema bei einigen Abgeordneten präsent ist und gegenüber der Regierung und im Kontext der Studenten angesprochen wurde.

Natürlich kann Rabat nicht in den Prozess der Visa-Vergabe ausländischer Staaten eingreifen, aber es gibt auch in Marokko Gesetze gegen Missbrauch und Wucher. Hinzu kann geprüft werden, ob nicht Regelungen aus dem Wirtschaftsrecht zum Greifen kommen, darunter eine gesetzeskonforme Anmeldung eines Gewerbes, steuerliche Prüfungen und ähnliche Fragen, mit denen man vor allem die unautorisierten Vermittler angehen könnte, soweit bekannt. Dies wäre im Sinne der marokkanischen Wirtschaft und zum Schutz von Verwandten der im Ausland lebenden Marokkanerinnen und Marokkaner MRE ein möglicher Weg.
Darüber hinaus müssen sich auch im Auftrag von ausländischen Staaten tätige Unternehmen in Marokko an Gesetze halten und bei offensichtlichem Missbrauch agieren. Das Begünstigen von Missbrauch durch unzulängliche Verfahren oder einer mangelnden Aufsichtspflicht wäre hier zu prüfen.
Aber auch die Betroffenen sind aufgefordert zu agieren, durch Strafanzeigen, Beschwerdebriefe und Postings in den sozialen Netzwerken. Nur so kann der entsprechende Druck aufgebaut werden, die Situation zu verbessern, denn dass es geht, bei entsprechendem Willen, zeigt Spanien und der Dienstleister BLS International, die entsprechende Hürden eingerichtet haben. Dieses Verfahren sollten sich Länder wie Deutschland oder Frankreich schnell ansehen.

*Wechselkurs 18. August 2023

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