Neue Fatwa legt detaillierte Bestimmungen für Spendenpflicht Zakat fest und erweitert den Anwendungsbereich auf moderne Wirtschaftssektoren.
Rabat – Der Hohe Rat der Ulemas hat am 24. Oktober 2025 den vollständigen Text seiner Fatwa zur Zakat, der islamischen Pflichtabgabe, online veröffentlicht. Die Veröffentlichung erfolgte nach der offiziellen Billigung durch König Mohammed VI., der als Amir al-Mu’minin – Befehlshaber der Gläubigen – die religiöse Oberaufsicht in Marokko innehat. Wie die staatliche Nachrichtenagentur MAP berichtet, wurde der Text am Freitag um 15:00 Uhr auf den Webseiten des Rates sowie des Ministeriums für Stiftungen und islamische Angelegenheiten bereitgestellt.
Die Fatwa erläutert auf Grundlage der malikitischen Rechtsschule die religiösen und rechtlichen Rahmenbedingungen der Zakat und versteht sich laut Präambel als Beitrag zu „Erklärung, Kommunikation und Erinnerung“. Der Rat betont darin seinen Auftrag, religiöse Grundsätze zu vermitteln, ohne Zwang oder Einmischung auszuüben.
Erweiterung der Zakat auf neue Wirtschaftsbereiche
Die Fatwa geht über die traditionelle Anwendung hinaus, die bislang vor allem landwirtschaftliche Erträge und Viehhaltung betraf. Neu ist, dass die Regelungen nun auch für Sektoren wie Handel, Industrie und Dienstleistungen gelten. Damit reagiert der Rat auf die zunehmende wirtschaftliche Diversifizierung des Landes und die Fragen vieler Gläubiger zur Anwendung religiöser Gebote in modernen Einkommensformen.
So werden etwa für den Handelssektor Zakat-Abgaben auf Vermögenswerte, Aktien, Devisen oder Unternehmensgewinne festgelegt, sofern diese den sogenannten Nisab – die Mindestschwelle – erreichen. Auch im Dienstleistungssektor ist eine Abgabe vorgesehen: Auf Nettoeinkommen, das nach Abzug persönlicher und familiärer Grundausgaben den Schwellenwert übersteigt, fällt laut Fatwa ein Satz von 2,5 Prozent an.
Klare Richtlinien zu Berechnung und Fälligkeit
Die Fatwa präzisiert für jede Vermögenskategorie den Zeitpunkt und die Modalitäten der Zahlung.
- Landwirtschaftliche Produkte: Zakat ist bei der Ernte fällig – 10 % bei natürlicher Bewässerung, 5 % bei kostenintensiver Bewässerung.
- Viehzucht: Die Abgabe wird nach einem Jahr erhoben, sobald eine bestimmte Zahl an Tieren erreicht ist (etwa 30 Kühe oder 40 Schafe).
- Geld- und Handelsgüter: Der Nisab orientiert sich wahlweise am Wert von Silber oder Gold. Als Referenz empfiehlt die Fatwa Silber (200 Dirham ≈ 595 g).
Zudem werden erstmals Produkte aus Fischerei, Forstwirtschaft, Industrie und geistigem Eigentum (z. B. Marken, Patente, Urheberrechte) einbezogen. In diesen Fällen beträgt der Zakat-Satz ebenfalls 2,5 % des Marktwerts, sofern der Nisab erreicht ist.
Empfängergruppen und soziale Zielsetzung
Die Fatwa verweist auf die im Koran festgelegten acht Kategorien von Zakat-Berechtigten (Sure At-Tawba, Vers 60), legt jedoch den Schwerpunkt auf die Unterstützung von Armen und Bedürftigen. Nachrangig behandelt werden Gruppen wie verschuldete Personen oder Reisende in Not.
Nicht empfangsberechtigt sind Angehörige, die unterhaltspflichtig versorgt werden müssen, wie Eltern, minderjährige Kinder oder Ehepartner. Ebenso ausgenommen sind Luxusgüter, sofern sie nicht verkauft werden und damit keine Einnahmen erzielen.
Der Hohe Rat der Ulemas hebt in seiner Mitteilung hervor, dass die Bestimmungen der Zakat „zum Schutz der Religion beitragen“ und zugleich eine Form sozialer Solidarität darstellen, die freiwillig und ohne staatlichen Zwang zu verstehen sei.
Zakat als dritte Säule des Islam und Bedeutung für Marokko
Zakat gilt als dritte Säule des Islam und dient traditionell der Umverteilung von Wohlstand innerhalb der Gemeinschaft. In Marokko spielt sie auch eine wachsende Rolle im Rahmen sozialer und wirtschaftlicher Reformen, die von der Monarchie unterstützt werden. König Mohammed VI. hatte bereits in früheren Ansprachen betont, dass religiöse Institutionen einen Beitrag zur „sozialen Kohäsion und zur wirtschaftlichen Gerechtigkeit“ leisten sollen.
Die Veröffentlichung der Fatwa wird in diesem Zusammenhang von Beobachtern als weiterer Schritt gesehen, um die Zakat-Praxis zu modernisieren und an die Realität der marokkanischen Wirtschaft anzupassen – von der Landwirtschaft bis zu neuen digitalen und industriellen Sektoren.
Der Hohe Rat plant laut MAP, auf seinem Internetportal künftig einen eigenen Bereich einzurichten, in dem Fragen zur Anwendung der Zakat auf moderne, einkommensschaffende Tätigkeiten beantwortet werden können. Damit soll die Umsetzung der Fatwa in Alltag und Wirtschaft erleichtert werden.
Zwischen religiöser Kontinuität und wirtschaftlicher Aktualisierung
Mit der neuen Fatwa wird die traditionelle islamische Pflichtspende in einen aktuellen rechtlich-religiösen Rahmen überführt, der sowohl den Glaubensgrundsätzen als auch den heutigen ökonomischen Realitäten Rechnung trägt. Während die Grundprinzipien der Zakat unverändert bleiben, spiegelt die Präzisierung der Regeln den Versuch wider, die religiöse Praxis an den Wandel von Einkommen, Eigentum und Produktion in Marokko anzupassen – unter Wahrung des malikitischen Ritus und der königlichen Aufsicht über religiöse Angelegenheiten.

