StartGesellschaftMarokko – PJD erläutert Position zur Gleichstellung im Erbrecht

Marokko – PJD erläutert Position zur Gleichstellung im Erbrecht

Frauenbewegung und NGOs kritisieren Haltung der PJD.

Islam-konservative ehemalige Regierungspartei äußert sich zur Gleichstellung der Geschlechter im Erbrecht und verweist auf die Regeln des Koran. Frauenbewegung und NGOs kritisieren ablehnende Haltung der PJD.

Rabat – Mit seiner letzten Thronrede im Jahr 2022 (siehe Link unten) hat König Mohammed VI. dazu aufgefordert, die Rechte der Frauen zu stärken und auch Themen anzugehen, die sich auf das Erbrecht beziehen. Dabei soll eine Gleichstellung angestrebt werden, wobei er deutlich machte, dass Veränderungen im Einklang mit dem Koran erfolgen sollen.

Das marokkanische Erbrecht basiert auf den Regeln des für Muslime heiligen Koran. Männer sind dabei bei Erbschaften gegenüber Frauen in der Regel besser gestellt.

Die ehemalige Regierungspartei für „Gerechtigkeit und Entwicklung“ PJD, die als islam-konservativ einzuordnen ist und über 10 Jahre, bis zu den Parlamentswahlen 2021, in der sie eine dramatische Wahlniederlage erlitt, den Regierungschef gestellt hatte, äußerte sich zur gesellschaftlichen Diskussion und erläuterte die eigene Position.

Partei für „Gerechtigkeit und Entwicklung“ lehnt eine Abweichung vom Koran und eine Gleichstellung der Geschlechter im Erbrecht ab.

Die PJD veröffentlichte am vergangenen Dienstag (28. Februar 2023) nach einer Sitzung ihres Generalsekretariats eine Erklärung.

In der Erklärung heißt es unter anderem, dass diese Forderung zur Gleichstellung der Geschlechter im Erbrecht eine „gefährliche Entwicklung“ sei. „Die Forderung nach Gleichheit im Erbrecht widerspricht dem ausdrücklichen Wortlaut des Korans, der das Erbrecht regelt, und den Anforderungen der Verfassung des Königreichs. Sie ist auch ein eklatanter Verstoß gegen den klaren und festen Rahmen, den Seine Majestät der König in seiner Rede zum Familienrecht vorgegeben hat.”

PJD klagt eine „offensichtliche Infragestellung der Koranverse” an.

Die Partei, unter Führung des ehemaligen Regierungschefs Benkirane, verurteilte diese mutmaßlich unüberlegten Forderungen „auf das Schärfste“. Sie prangerte „eine beispiellose Unverschämtheit und einen unverhohlenen Angriff auf die ausdrücklichen Verse des Korans über das kulturelle Erbe“ an. Die Erklärung stellt auch fest, dass „der nationale Konsens und die verbindlichen Elemente der Verfassung in Frage gestellt werden“.

Die Partei halte dies für einen gefährlichen Schritt, der das marokkanische Familiengefüge destabilisieren und den sozialen und familiären Frieden untergraben würde. V. a. aber sei dies eine Bedrohung für die nationale Stabilität und für das Erbsystem, das in der marokkanischen Gesellschaft seit mehr als zwölf Jahrhunderten praktiziert werde.

PJD sieht Einflussnahme durch „externe Interessengruppen“

Die Partei erklärte weiter, dass „solche Aufrufe nichts mit den Überzeugungen und Erwartungen der marokkanischen Gesellschaft zu tun haben, sondern von Verzweiflung und der Umsetzung externer Agenden zeugen”.

Das Generalsekretariat der PJD warnte davor, Zwietracht zu säen und den Zusammenhalt der Familie und die Stabilität der Gesellschaft zu untergraben. Dies untergrabe auch die Unantastbarkeit des Korans und zerstöre die Vorherrschaft des islamischen Rechts. Die Partei plädiere dafür, den vom König vorgegebenen Rahmen für die Reform des Familienrechts zu respektieren.

Frauenbewegung und NGOs kritisieren Haltung der PJD.

Die jüngste Veröffentlichung der PJD zur Gleichstellung im Erbrecht wurde von feministischen NGOs kritisiert. Sie sehen in der Veröffentlichung den Versuch, eine Debatte über das Thema zu verhindern. Um den gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung zu tragen, fordern sie eine „Erneuerung der islamischen Jurisprudenz“.

Mehrere Verbände kritisierten die Veröffentlichung in Presseerklärungen als Versuch, „der Debatte zu schaden“.

Für die vom Nachrichtenportal Yabiladi zitierte Frau Bouchra Abdou, Direktorin der Tahadi Association, seien die Forderungen der verschiedenen Aktivisten „legitim zu diskutieren“.  Es sei inakzeptabel, eine andere Meinung abzulehnen. „Es handele sich um eine Forderung, die erreicht werden kann, die aber in Frage gestellt werden müsse“, betonte sie.

Für die Rechtsanwältin Aicha Guellaa hätten die Marokkanerinnen und Marokkaner „das Recht“, alle Themen in einer Atmosphäre der Demokratie, des Dialogs und des kritischen Denkens zu diskutieren“.
Die Präsidentin der marokkanischen Vereinigung für die Rechte der Opfer (Association marocaine pour les droits des victimes) betonte, dass die Argumente zur Einschüchterung, Bedrohung und Angst durch die Veränderungen, die die marokkanische Gesellschaft auf allen Ebenen durchläuft, überholt seien. Sie sei der Meinung, dass die PJD „uns glauben machen will, dass sie die Hüter der religiösen Angelegenheiten sind, aber in Marokko ist der König das Oberhaupt aller Gläubigen und es gibt Institutionen, die diese Angelegenheiten verwalten”.

Samira Mohya ist Präsidentin der Vereinigung der Frauenrechtsliga. Die Nichtregierungsorganisation fordere eine Überarbeitung des Erbschaftssystems, um es mit Artikel 19 der Verfassung in Einklang zu bringen, der Gleichheit bzw. Parität vorschreibe. Die soziale bzw. sozioökonomische Struktur habe sich verändert. „Frauen sind produktiv geworden und viele von ihnen sind die Ernährerinnen der Familie. Wir brauchen also ein Gesetz, das diesen Veränderungen Rechnung trägt, und das erfordert eine neue islamische Jurisprudenz, um nicht auf eine jahrhundertealte Rechtsprechung zurückgreifen zu müssen.“

Marokko – Thronrede des Königs vom 30. Juli 2022 in einer deutschen Übersetzung.

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