StartGesellschaftMarokko – Abschaffung der Todesstrafe bleibt ein schrittweiser Prozess

Marokko – Abschaffung der Todesstrafe bleibt ein schrittweiser Prozess

Ein schrittweiser Weg zwischen Prinzipien und Realpolitik

Gesellschaftliche und politische Dynamiken prägen den Weg zu einer möglichen Reform des Strafrechts ohne Todesstrafe in Marokko

Rabat – Die Diskussion über die Abschaffung der Todesstrafe in Marokko gewinnt erneut an Bedeutung. Bei einer Veranstaltung des Nationalen Rates für Menschenrechte (CNDH) in Rabat zum Welttag gegen die Todesstrafe betonte die Präsidentin des Rates, Amina Bouayach, dass es sich um einen „schrittweisen und aufsteigenden“ Prozess handle, der tief in gesellschaftliche, politische und rechtliche Entwicklungen eingebettet sei.

Ein Prozess zwischen öffentlicher Debatte und politischer Entscheidung

Frau Bouayach hob hervor, dass die Entwicklung zur Abschaffung der Todesstrafe den „Dialog zwischen den unterschiedlichen Kräften der Gesellschaft“ widerspiegle. Dabei stehe die Diskussion in Marokko im Spannungsfeld von Menschenrechtsüberzeugungen und gesetzgeberischen Realitäten. Der nationale Diskurs zeichne sich laut Frau Bouayach durch seine „Vitalität und Kontinuität“ aus – Ausdruck einer pluralistischen Auseinandersetzung innerhalb des demokratischen Raums des Landes.

Ein zentrales Thema der Gedenkveranstaltung war der Rückblick auf zwei bedeutende internationale Entscheidungen, die Marokko im Jahr 2024 betrafen. Zum einen beteiligte sich das Königreich im Dezember 2024 an der Abstimmung der Vereinten Nationen über eine Resolution zur weltweiten Aussetzung der Todesstrafe. Zum anderen nahm Marokko an der Abstimmung im Menschenrechtsrat in Genf über eine Resolution teil, die eine Einschränkung der Anwendung der Todesstrafe und eine Verringerung der Zahl der entsprechenden Straftatbestände fordert.

Diese Schritte gelten Beobachtern zufolge als wichtige Signale einer graduellen Annäherung an internationale Menschenrechtsstandards, auch wenn eine vollständige gesetzliche Abschaffung der Todesstrafe bislang nicht beschlossen wurde.

Diese Entscheidungen, so Bouayach, seien Schritte in Richtung einer langfristigen Reform, die letztlich auf den Beitritt Marokkos zum Zweiten Fakultativprotokoll des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte abzielen könne – dem zentralen internationalen Instrument zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe.

Zivilgesellschaftliche und institutionelle Initiativen

Neben dem CNDH engagieren sich in Marokko mehrere Organisationen für eine rechtliche und gesellschaftliche Abschaffung der Todesstrafe. Der Koordinator der marokkanischen Koalition gegen die Todesstrafe, Abderrahim Jamaï, verwies auf die symbolische Bedeutung des Welttags gegen die Todesstrafe, der seit 25 Jahren begangen wird. Laut Herrn Jamaï spiegeln die jährlichen Aktionen eine weltweite Bewegung wider, „die von Kämpfen und Auseinandersetzungen geprägt“ sei und sich stetig weiterentwickle.

Auch in Marokko sei eine Entwicklung erkennbar – insbesondere durch den Rückgang der Zahl der verhängten Todesurteile und die zunehmende Unterstützung für Alternativen, die auf Reform, Wiedereingliederung und Menschenwürde setzen.

Internationale Einbettung und lokale Umsetzung

Abderrahmane Allali, Präsident der marokkanischen Gefängnisbeobachtungsstelle, stellte die nationale Diskussion in einen globalen Kontext. Das aktuelle Motto der Weltkoalition gegen die Todesstrafe – „Niemand ist vor der Todesstrafe sicher: Schafft sie jetzt ab“ – solle verdeutlichen, dass die Todesstrafe kein Mittel zur Sicherheit, sondern Ausdruck von Rechtsunsicherheit sei.

Herr Allali erinnerte daran, dass die 1999 gegründete Beobachtungsstelle seit ihrer Gründung die Abschaffung der Todesstrafe als Ziel in ihrer Satzung verankert habe und aktiv in internationalen Netzwerken mitwirke. Durch diese internationale Kooperation wolle man den Erfahrungsaustausch stärken und den öffentlichen Diskurs im eigenen Land weiter fördern.

Politische Symbolik und gesellschaftlicher Wandel

Dass der Diskurs über die Todesstrafe in Marokko an Dynamik gewinnt, liegt nicht zuletzt an der Verknüpfung von Menschenrechtsfragen mit politischen Reformprozessen. Frau Bouayach betonte, dass der Schutz des Lebens „den Eckpfeiler jedes gesellschaftlichen Projekts“ darstelle, das auf Würde und Gerechtigkeit basiere.

Die Teilnahme zahlreicher Diplomaten, Juristen, Unternehmer und Bildungsexperten an der Veranstaltung zeigt, dass die Thematik weit über den juristischen Rahmen hinausreicht. Sie berührt grundlegende Fragen von Staatsverständnis, Menschenwürde und gesellschaftlichem Fortschritt.

Gleichzeitig bleibt das Thema sensibel: In Marokko bestehen weiterhin gesetzliche Bestimmungen, die die Todesstrafe vorsehen, wenngleich seit Jahren kein Todesurteil mehr vollstreckt wurde. Damit befindet sich das Land de facto in einer Situation des Moratoriums – ein Zustand, den viele Menschenrechtsorganisationen als Übergangsphase betrachten.

Ein schrittweiser Weg zwischen Prinzipien und Realpolitik

Die jüngsten Äußerungen Bouayachs und anderer Menschenrechtsvertreter deuten darauf hin, dass Marokko den Weg zur Abschaffung der Todesstrafe nicht abrupt, sondern in Etappen gehen will. Dabei steht das Land im Spannungsfeld zwischen internationalen Erwartungen, rechtspolitischen Erwägungen und gesellschaftlichen Wertvorstellungen.

Die derzeitige Strategie – das schrittweise Zurückdrängen der Todesstrafe aus dem Strafrecht – soll langfristig die rechtlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen für ihre endgültige Abschaffung schaffen. Ob und wann dieser Schritt tatsächlich erfolgt, bleibt offen.

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