Algerien hat den französischen Botschafter Stéphane Romatet wegen mutmaßlicher Eingriffe in seine inneren Angelegenheiten und Sicherheit ins Außenministerium einbestellt.
Neben Spionagevorwürfen könnten auch Frankreichs Unterstützung für Marokko im Westsahara-Konflikt und geopolitische Spannungen zwischen Algier und Paris eine Rolle spielen. Die diplomatischen Beziehungen erreichen damit einen neuen Tiefpunkt.
Algier – Wie die regierungsnahe algerische Tageszeitung El Moudjahid berichtet, wurde Stéphane Romatet, der französische Botschafter in Algerien, am gestrigen Sonntag (15. Dezember 2024) zu einem Gespräch ins Außenministerium einbestellt. Anlass seien mutmaßlich „aggressive Manöver“ Frankreichs, die Algerien als eine Bedrohung für seine nationale Sicherheit werten würde. Besonders im Fokus stehen dabei die unterstellten Aktivitäten der französischen Auslandsspionagebehörde DGSE (Direction générale de la sécurité extérieure), die laut El Moudjahid verdächtigt wird, subversive Operationen in Algerien zu fördern.
Algerien habe Frankreich im Rahmen der Einbestellung eine „ernste Warnung“ ausgesprochen und den französischen Botschafter aufgefordert, die Vorwürfe zur Kenntnis zu nehmen. Details über den genauen Verlauf des Gesprächs wurden bisher nicht öffentlich gemacht.
Westsahara-Konflikt – Verstärkte Spannungen durch Frankreichs Haltung
Ein weiterer möglicher Grund für die Eskalation könnte Frankreichs jüngste Unterstützung für Marokkos Anspruch auf die Westsahara sein. Paris hatte zuletzt öffentlich signalisiert, Rabats Vorschlag einer Autonomielösung für die umstrittene Region zu befürworten. Sowohl der französische Präsident Macron wie auch zahlreiche Spitzenpolitik Frankreichs wiederholten zuletzt, dass die Republik die „Gegenwart und die Zukunft der Westsahara“ unter marokkanischer Souveränität sehen, was defacto einer Anerkennung des marokkanischen Hoheitsanspruchs auf die Region gleichkommt. Diese Haltung steht in direktem Konflikt mit Algeriens Position, das die Unabhängigkeit der Westsahara und die Arbeit der sahrauischen Befreiungsbewegung POLISARIO politisch, finanziell und logistisch seit Jahrzehnten unterstützt.
Wie TSA Algérie berichtet, betrachtet Algier die französische Unterstützung für Marokko als einen weiteren Beweis für die Parteinahme zugunsten seines regionalen Rivalen. Die Beziehungen zwischen Algerien und Marokko sind seit Jahren angespannt und gipfelten 2021 in einem vollständigen Abbruch der diplomatischen Beziehungen.
Fortgesetzte Anschuldigungen: „Destabilisierungsversuche“ durch Paris
Zusätzlich zu den geopolitischen Differenzen werfen algerische Sicherheitskreise Frankreich vor, über die DGSE im Untergrund agierende Netzwerke aufgebaut zu haben, die die politische Stabilität Algeriens untergraben sollen. Laut der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu (AA) handelt es sich hierbei um angebliche „destabilisierende Kampagnen“, die Algeriens Souveränität gefährden könnten.
Wie die französische Zeitung Le Monde hervorhebt, nehmen die Vorwürfe Algeriens eine neue Qualität an. Sie folgen auf eine Phase zunehmender Spannungen, die unter anderem durch historische Konflikte, Frankreichs restriktive Visapolitik, die französischen Interessen in der Sahel-Zone sowie die enge Partnerschaft mit Marokko weiter verschärft wurden.
Eine fragile Beziehung am Scheideweg
Die Einbestellung von Stéphane Romatet zeigt, wie angespannt die bilateralen Beziehungen mittlerweile sind. Laut Le Monde sehen algerische Behörden in Frankreichs Politik zunehmend einen Versuch, Algeriens Einfluss zu schwächen und seine außenpolitische Eigenständigkeit zu untergraben.
Beide Länder verfolgen derzeit diametral entgegengesetzte Strategien in der Region: Algerien intensiviert seine Beziehungen zu Russland und China, während Frankreich in Nordafrika und im Sahel verstärkt auf traditionelle Verbündete wie Marokko setzt.
Wie TSA Algérie und El Moudjahid übereinstimmend berichten, ist die Einbestellung des französischen Botschafters ein klares Signal an Paris, dass Algerien nicht bereit ist, weitere Eingriffe hinzunehmen. Die zunehmenden Spannungen könnten langfristig nicht nur die bilateralen Beziehungen, sondern auch die Stabilität der gesamten Region beeinflussen.
Frankreichs Reaktion bleibt abzuwarten
Bislang hat Frankreich keine offizielle Stellungnahme zu den jüngsten Entwicklungen abgegeben. Beobachter wie Le Monde gehen davon aus, dass Paris die Situation zunächst beobachten und eine diplomatische Eskalation vermeiden möchte. Dennoch ist klar, dass die Vorwürfe und die geopolitischen Spannungen eine Einigung erschweren.
Die Einbestellung von Stéphane Romatet ist ein deutliches Zeichen, dass Algerien bereit ist, eine härtere Linie gegenüber Frankreich zu verfolgen. Ob und wie Frankreich auf die algerischen Forderungen reagiert, bleibt abzuwarten. Klar ist jedoch, dass die Krise das ohnehin fragile Verhältnis zwischen Algier und Paris weiter belasten wird.