Ex – Verteidigungsminister Khaled Nezzar soll während des Bürgerkriegs Folter gegen Islamisten angeordnet und koordiniert haben. Algerien droht Schweiz mit diplomatischen Folgen nach Anklageerhebung durch Bundesanwaltschaft.
Algier / Bern – Die Bundesanwaltschaft in der Schweiz hat am vergangenen Dienstag (29. August 2023) offiziell Anklage gegen den ehemaligen algerischen Verteidigungsminister Khaled Nezzar erhoben. Der Vorwurf bezieht sich auf die Zeit in den 1990er Jahren und dem Bürgerkrieg zwischen dem algerischen Militär und den Islamisten der FIS und wiegt schwer.
Es gehe, um nichts geringeres als Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Ex-Verteidigungsminister Nezzar soll zu dieser Zeit Folter gegen gefangene FIS-Mitgliedern oder Sympathisanten angeordnet und koordiniert haben.
In einer Pressemitteilung der Bundesanwaltschaft heißt es, Khaled Nezzar „war eine einflussreiche Persönlichkeit in Algerien. Als Verteidigungsminister und Mitglied des Hohen Staatskomitees besetzte er Schlüsselpositionen mit Vertrauten. Dabei schuf er bewusst Strukturen, um die islamistische Opposition auszuschalten”.
Darüber hinaus heißt es von Seiten der Bundesanwaltschaft: „In der Folge wurden Kriegsverbrechen begangen und Zivilisten systematisch verfolgt, weil sie verdächtigt wurden, mit der Opposition zu sympathisieren“. Diese Vorwürfe stehen gegen den heutigen 85-jährigen bereits seit Oktober 2011 im Raum, als er erstmalig in Genf verhaftet wurde, dann aber wieder auf freien Fuß gesetzt wurde
Erst 2018 und auf Druck einer NGO stellte ein Gericht in der Schweiz fest, dass die Auseinandersetzungen in den 1990er Jahren in Algerien, aufgrund der Heftigkeit die Kriterien der Genfer Konvention für einen bewaffneten Konflikt erfüllen und so als Bürgerkrieg einzustufen sind sowie entsprechende Gesetze der Schweiz greifen würden. Nach der Befragung von insgesamt 24 Personen hat nun die Bundesanwaltschaft am 28. August 2023 Klage beim Bundesstrafgericht eingereicht
Es soll u. a. 11 dokumentierte Vorfälle geben, die sich zw. 1992 und 1994 ereignet haben. Der algerische Bürgerkrieg mit seinen traumatischen Folgen forderte offiziell 200.000 Menschenleben, darunter viele Zivilisten.
Die Menschenrechtsorganisation TRIAL reagierte am vergangenen Dienstag auf den Prozess: „Nezzar wird der weltweit ranghöchste Militär sein, der jemals wegen solcher Verbrechen vor ein universelles Gericht gestellt wurde.”
Algerien droht der Schweiz mit schweren Folgen für die diplomatischen Beziehungen.
Nun hat die algerische Regierung offiziell auf die Anklage reagiert und greift dabei die Schweizer Justiz an. In einer Erklärung des algerischen Außenministeriums wird bestätigt, dass es ein direktes Gespräch zwischen Ahmed Attaf und seinem Schweizer Amtskollegen, Ignazio Cassis, gegeben hat. In dem Gespräch habe Ahmed Attaf das Vorgehen der Justiz in der Schweiz als „revisionistische“ im Bezug auf den „mutigen nationalen Kampf gegen den Terrorismus“ bezeichnet, so die algerisch-staatliche Nachrichtenagentur APS. Darüber hinaus habe Außenminister Attaf erklärt, dass „die Unabhängigkeit der Justiz“ keine Rechtfertigung für eine Verantwortungslosigkeit der Justiz sei „und kein Justizsystem kann sich das absolute Recht anmaßen, über die Politik eines souveränen und unabhängigen Staates zu urteilen“. Der algerische Außenminister kritisierte, dass durch die Anklage den Terroristen nun eine Bühne geboten und der Kampf des Landes damit diskreditiert würde.
Er wies auf die „Beispiellosigkeit der aktuellen Situation hin, da es einer Organisation von ehemaligen Terroristen und ihren Verbündeten erlaubt ist, die Schweizer Justiz zu nutzen, um dem algerischen Staat den Prozess zu machen“.
Er betonte schließlich, „dass Algerien es für inakzeptabel hält, dass die Schweizer Justiz sich das Recht anmaßt, ein Urteil über die politischen Entscheidungen eines souveränen und unabhängigen Staates im Bereich der nationalen Sicherheit zu fällen“.
Abschließend betonte Außenminister Attaf, dass die Dankbarkeit Algeriens gegenüber der Schweiz für die Rolle, die sie bei der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Algeriens gespielt habe, ungebrochen sei, und erklärte zugleich, dass „diese Angelegenheit die Grenzen des Unzulässigen und Unerträglichen erreicht hat und dass die algerische Regierung entschlossen ist, alle Konsequenzen zu ziehen, einschließlich derer, die für die Zukunft der algerisch-schweizerischen Beziehungen alles andere als wünschenswert sind“.
Er äußerte den Wunsch, dass „alles unternommen wird, um zu verhindern, dass diese Affäre die Beziehungen zwischen Algerien und der Schweiz auf den Weg des Unerwünschten und Irreparablen führt“, schließt die Mitteilung des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten und die nationale Gemeinschaft im Ausland, so die offizielle Bezeichnung des algerischen Außenministeriums.