Berufungsgericht belässt es bei einer Haftstrafe von 6 Jahren
Casablanca – Der in Marokko bekannte Investigativjournalist und Aktivist Omar Radi bleibt weiterhin in Haft.
Das Berufungsgericht von Casablanca bestätigte das Urteil der vorherigen Instanz, wonach Omar Radi für sechs Jahre in Haft muss. Das Urteil wurde am gestrigen Donnerstag (3. März 2022) am späten Abend und nach mehrstündigen Beratungen vom Gericht bestätigt.
Urteil wegen „Vergewaltigung“ und „geheimdienstlicher Tätigkeit“
Omar Radi wurde erneut hauptsächlich wegen „Vergewaltigung“, „unsittlicher Angriffe mit Gewalt“ sowie erneut wegen „geheimdienstlicher Tätigkeit“ für eine ausländische Organisation verurteilt. Bereits am 19. Juli 2021, nach mehrmonatiger Untersuchungshaft, wurde er zu den genannten sechs Jahren Haft verurteilt.
Seit seiner Verhaftung im Jahr 2020 bestreitet der bekannte Journalist die Taten, der hauptsächlich das Thema Korruption untersuchte. Bei der Vergewaltigung einer jungen Kollegin, unter Anwesenheit / Beteiligung seines Freundes Imad Stitou, habe es sich, um eine einvernehmliche Beziehung gehandelt. Dies bestreitet das Opfer und wiederholte ihre Anschuldigungen auch im Berufungsverfahren.
Der nun ebenfalls verurteilte Stitou, der zu einem Jahr Haft mit einer sechsmonatigen Bewährung verurteilt wurde und sich derzeit in Tunesien aufhält, trat zunächst als Zeuge der Verteidigung auf, wurde dann von der Staatsanwaltschaft als Mittäter angeklagt und nun ebenfalls erneut verurteilt.
Omar Radi bestreitet auch die geheimdienstliche Tätigkeit. Er hätte lediglich Analysen für eine internationale Stiftung erstellt. Mit dem neuerlichen Urteil blieb das Gericht noch unter der geforderten Strafe der Staatsanwaltschaft. Diese hatte für die Vergewaltigung die Höchststrafe von 10 Jahren gefordert.
Schwierige Bewertung des Falls Omar Radi
Omar Radi ist in den letzten Jahren nicht die einzige bekannte Persönlichkeit, gerade unter den Intellektuellen und kritischen Stimmen, die wegen Straftaten oder Verfehlungen mit vermeintlichen sexuellen Fehlverhalten angeklagt und verurteilt wurden. So traf es andere Journalisteninnen und Journalisten sowie zuletzt einen ehemaligen Minister und prominenten Anwalt. Daher kommt nicht selten der Verdacht auf, dass es sich hier, um ein Instrument handelt, mit dem unliebsame Stimmen zum Schweigen gebracht werden sollen. Ein Punkt, auf den Amnesty International bei der Unterstützung von Omar Radi wiederholt hingewiesen hat.
Das Verfahren von Omar Radi und auch von Soulaiman Raissouni erfuhr im vergangenen Jahr erneut internationale Aufmerksamkeit, als das US-Außenministerium betonte, die Verfahren besonders zu beobachten. Marokko reagierte darauf mit dem Hinweis auf eine unabhängige Justiz.
Zugleich leiden Frauen in Marokko nicht selten unter sexualisierter Gewalt, was neben den direkten körperlichen und seelischen Folgen für die betroffenen Frauen und Mädchen auch gesellschaftliche Konsequenzen in einem nach außen konservativ auftretendem und patriarchisch strukturiertem Land führt. Daher ist jeder Schutz zu gewähren, sei es nicht zuletzt durch abschreckende Haftstrafen.
Ebenfalls zugleich leben immer mehr Menschen, gerade im höher gebildeten sozialen Schichten und wenn auch noch überwiegend im Verborgenen, nach liberalem Muster, was entsprechende Risiken und ggf. Angriffsflächen unter Anwendung von sog. Moralparagrafen im marokkanischen Strafgesetzbuch bietet. Dies macht es sehr schwierig den Fall abschließend zu bewerten.