Frauenrechtlerinnen und Journalistinnen werden per Nachrichten in Sozialen Medien mit dem Tode bedroht. Forderungen nach liberalen Freiheitsrechten für Frauen und sexuelle Minderheiten machen Aktivistinnen und ihre Familien zur Zielscheibe für Morddrohungen.
Rabat – Derzeit sehen sich zahlreiche Vertreter und vor allem Vertreterinnen von sozialen oder politisch aktiven Organisationen Morddrohungen ausgesetzt. Mehrere feministische Aktivistinnen haben seit März 2024 wieder vermehrt Todesdrohungen erhalten.
In den Sozialen Netzwerken teilten die Betroffenen Screenshots der Nachrichten, die sie erhalten hätten.
Allen Betroffenen ist gemein, dass sie sich für Änderungen der Gesetze in Marokko einsetzen, um mehr individuelle Freiheiten und Anerkennung alternativer Lebensformen zu ermöglichen. Darunter die Straflosigkeit von sexuellen Beziehungen auch außerhalb der Ehe und die Anerkennung der LGBT – Gemeinde.
Die Drohungen werden u.a. auf den Plattformen Instagram und X (Twitter) gepostet und richten sich mehrheitlich gegen Aktivistinnen, Journalistinnen und Künstlerinnen, die der marokkanischen Gesellschaft bekannt sind und die sich seit Jahren für liberale Gesetze und Rechte von Minderheiten einsetzen.
„Ich werde deine Kinder töten.“, heißt es in einem vom Nachrichtenmagazin Telquel zitierten Posting. Weiter heißt es im gleichen Posting: „Zuerst deine Kinder, dann dich, weil ich dich leiden sehen will, bevor du stirbst.“ „… Yasmina B., Maryam G. und andere werden zum Tode verurteilt, weil sie LGBT-Ideen, Zina (Unzucht) und andere Dinge fördern, die die marokkanische Gesellschaft zerstören. Die Hinrichtung wird schmerzhaft und unerwartet für dich sein, Wallah“, zitiert das marokkanische Nachrichtenportal Telquel aus einem der Postings weiter.
Betroffene sind geschockt.
Neben den Drohungen kursieren nach dem Bericht von Telquel Listen (Todeslisten) von sog. Feinden des Islam. Auf diesen Listen seien Namen von Personen zu sehen, die sowohl im Inland wie auch im Ausland leben und aktiv sind.
Die Betroffenen sind teils geschockt, den bisher wurden immer nur einzelne Personen und Aktivisten attackiert. Dieses Mal hat die Aktion eine andere Qualität und scheint koordiniert.
Zugleich fallen die Drohungen mit dem Ende der Abgabefrist für die Änderungsvorschläge für die Reform des Familienrechts zusammen. König Mohammed VI. hatte vor sechs Monaten eine Frist gesetzt, die nun abgelaufen ist. Vor wenigen Tagen hat die eingesetzte Kommission ihren Katalog an Änderungsvorschlägen an den Regierungschef übergeben, der diesen nun an den König zur weiteren Beratung und Prüfung weiterreichen wird.
Zuvor hatte die Kommission zahlreiche Gespräche mit den Sozialpartnern, Gewerkschaften, Aktivisten und Parteien geführt und die Positionen zusammengetragen.
Zugleich findet seit zwei Jahren eine deutlich intensivierte Diskussion innerhalb der Regierung und im Parlament statt, die eine Reform des Strafgesetzbuches vorbereitet. Unter anderem soll der Paragraph 490 reformiert oder abgeschafft werden, der sexuelle Beziehungen außerhalb der Ehe unter Strafe stellt. Auch eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts ist immer wieder Teil der Diskussion. Die eher reformorientierten Kräfte im nordafrikanischen Königreich haben seit den Parlamentswahlen im September 2021 mehr Rückenwind bekommen, nachdem die islam-konservative PJD ihre Regierungsmehrheit deutlich eingebüßt hatte.
Sicherheitsdienste sind zu Ermittlungen aufgerufen.
Zahlreiche Betroffene haben sich gemeinsam an die Sicherheitsbehörden gewandt und Anzeige erstattet. Die Artikel 503-1-1 und 503-1-2 des Strafgesetzbuches drohen bei Cyberbelästigungen durch schriftliche Nachrichten den Tätern oder Täterinnen mit Haftstrafen von einem bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldstrafe zwischen 5.000 marokkanische Dirham MAD bis zu 50.000 MAD.
Die Sicherheitsdienste sind zu schnellem Handeln aufgefordert. Wie die Behörden nun reagieren, ist noch nicht bekannt. Es bleibt zu hoffen, dass die Behörden nicht erst dann reagieren, wenn die ersten Opfer zu beklagen sind.
Die Frauen, die von den Todesdrohungen und der Hetzkampagne betroffen sind, veröffentlichten eine Erklärung, in der sie die Gewalt gegen sie und ihre Familienangehörigen anprangerten. „Wir verurteilen diese extrem gewalttätigen Handlungen, die unter den Begriff Terrorismus fallen und gesetzlich streng bestraft werden, aufs Schärfste“, erklärten sie und kündigten an, dass bei der Generalstaatsanwaltschaft Anzeigen wegen Verherrlichung des Terrorismus, Todesdrohungen und Aufstachelung zum Hass eingereicht worden seien. Sie forderten die zuständigen Behörden auf, „unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um diese Vorfälle zu untersuchen, die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen und Strafen zu verhängen, die der Schwere der Taten entsprechen“.
Marokko – Kommission zur Überarbeitung des Familienrechts übergibt Analyse.