StartMarokkoMarokko – König Mohammed VI. eröffnet neues Legislativjahr im Zeichen gesellschaftlicher Spannungen

Marokko – König Mohammed VI. eröffnet neues Legislativjahr im Zeichen gesellschaftlicher Spannungen

Junge Generation fordert sozialen Wandel

Am Freitag eröffnet König Mohammed VI. traditionell das neue Sitzungsjahr des Parlaments. Seine Rede wird mit besonderer Spannung erwartet, da Proteste junger Menschen gegen soziale Ungleichheit, Korruption und Defizite in Bildung und Gesundheit das Land bewegen.

Rabat – In Marokko markiert die Eröffnung des Legislativjahres durch den König einen der wichtigsten Termine im politischen Kalender. Alljährlich hält König Mohammed VI. eine Ansprache vor den Abgeordneten beider Kammern des Parlaments – der Abgeordnetenkammer und der Kammer der Räte. Dabei legt er die politischen Leitlinien für die kommende Sitzungsperiode fest und umreißt seine Sicht auf die wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Lage des Landes.

Die diesjährige Rede, die am morgigen Freitag, dem 10. Oktober 2025, stattfinden wird, steht unter besonderen Vorzeichen. Die öffentliche Aufmerksamkeit ist außergewöhnlich groß, denn die marokkanische Gesellschaft erlebt derzeit eine Phase zunehmender sozialer Spannungen und Proteste junger Menschen.

Junge Generation fordert sozialen Wandel

Seit nun rund zwei Wochen gehen in verschiedenen Städten des Landes junge Menschen unter dem Banner der Bewegung GenZ212 auf die Straße. Über soziale Netzwerke organisiert, fordert die Bewegung tiefgreifende Reformen in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Arbeitsmarkt. Auch der Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft steht im Zentrum ihrer Anliegen.

Die Gruppe, deren Name sich auf die internationale Telefonvorwahl Marokkos (+212) bezieht, gilt als Sprachrohr einer Generation, die mit digitalen Medien aufgewachsen ist und einen stärkeren gesellschaftlichen Dialog fordert. In einem offenen Brief an den Monarchen rief GenZ212 zu einem „neuen Gesellschaftsvertrag“ auf, der sozialen Gerechtigkeit, Transparenz und mehr politische Mitsprache sichern soll.

Bislang hat der Palast auf diesen Brief nicht reagiert. Dennoch betonen die Organisatoren, sie respektierten die Institution der Monarchie und verzichteten aus diesem Grund darauf, die Parlamentseröffnung zu stören. Auf ihrer Facebook-Seite kündigten sie an, keine Proteste für den Freitag zu planen – ein Zeichen, dass sie auf eine Antwort des Königs hoffen.

Monarchie und Parlament – Struktur des marokkanischen Staates

Marokko ist eine konstitutionelle Monarchie mit einem Mehrparteiensystem und einem Parlament, das aus zwei Kammern besteht. Die Verfassung von 2011, die im Zuge des Arabischen Frühlings überarbeitet wurde, stärkte formal die Rolle des Premierministers und des Parlaments.

Das Parlament setzt sich aus der Abgeordnetenkammer (Chambre des Représentants) und der Kammer der Räte (Chambre des Conseillers) zusammen. Die Abgeordneten werden direkt vom Volk gewählt, während die zweite Kammer Vertreter regionaler und wirtschaftlicher Körperschaften umfasst.

Der König bleibt jedoch das zentrale Machtzentrum des Staates. Er ist Staatsoberhaupt, religiöser Führer („Amir al-Mu’minin“) und Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Zudem ernennt er den Premierminister aus der stärksten Partei im Parlament und hat das Recht, das Parlament aufzulösen. Seine jährliche Rede zur Parlamentseröffnung ist daher nicht nur symbolischer Akt, sondern ein entscheidendes Signal für die politische Ausrichtung des kommenden Jahres.

Gesellschaftliche Herausforderungen prägen die politische Agenda

Die aktuellen Proteste lenken den Blick auf Probleme, die Marokko seit Jahren begleiten. Trotz wirtschaftlichen Wachstums in Bereichen wie Tourismus, Automobilindustrie und erneuerbare Energien bleibt die soziale Ungleichheit groß. Besonders junge Menschen in ländlichen Regionen und Vorstädten finden schwer Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung und stabilen Arbeitsplätzen.

Laut Zahlen der Weltbank oder der HCP liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei über 25 Prozent, in städtischen Regionen teilweise deutlich höher. Hinzu kommen Mängel im öffentlichen Gesundheitssystem, das vielerorts unterfinanziert und überlastet ist. Diese Faktoren befeuern die Frustration vieler junger Marokkanerinnen und Marokkaner, die sich von den politischen Institutionen nicht ausreichend vertreten fühlen.

Zwischen Kontinuität und Reformdruck

König Mohammed VI. gilt als Modernisierer, der in den vergangenen Jahren mehrere Strukturreformen angestoßen hat – darunter Projekte zur Regionalisierung, Investitionen in Infrastruktur und Programme zur Armutsbekämpfung. Gleichzeitig werfen Kritiker der Regierung und den Eliten im Umfeld des Palastes vor, zu langsam auf die sozialen Herausforderungen zu reagieren und Transparenz zu vermeiden.

Beobachter gehen davon aus, dass der Monarch in seiner Rede auf die Forderungen der jungen Generation zumindest indirekt eingehen könnte. Politikanalysten erwarten, dass Themen wie Arbeitsmarkt, Bildung und soziale Kohäsion eine zentrale Rolle spielen werden.

Die Regierung unter Premierminister Aziz Akhannouch, der seit 2021 im Amt ist, steht unter Druck, sichtbare Ergebnisse in der Sozial- und Wirtschaftspolitik zu liefern. Die jüngsten Proteste könnten ihr Handlungsspielraum und Prioritäten verändern – insbesondere im Vorfeld der anstehenden Haushaltsdebatten. Für die Regierung unter Premierminister Aziz Akhannouch ist es auch die letzte Rede des Königs im Parlament vor den nächsten Parlamentswahlen, voraussichtlich im September 2026. Spürbare Verbesserungen der wirtschaftlichen und sozialen Lage werden entscheiden für den Erfolg seiner Partei, der RNI, sein.

Die Rolle des Königs im Dialog mit der Gesellschaft

König Mohammed VI. äußert sich selten direkt zu aktuellen politischen Entwicklungen. Seine Reden sind meist wohlüberlegt, formal und auf langfristige Perspektiven ausgerichtet. Daher gilt die jährliche Parlamentseröffnung als seltene Gelegenheit, in der der Monarch Position zu gesellschaftlichen Herausforderungen bezieht.

Viele Bürgerinnen und Bürger hoffen, dass die Ansprache am Freitag ein Signal des Dialogs und der Öffnung sendet – insbesondere gegenüber der jungen Generation. Sollte der König Reformbereitschaft signalisieren, könnte dies ein wichtiges Zeichen zur Beruhigung der angespannten gesellschaftlichen Stimmung sein.

Gleichzeitig bleibt die Erwartung groß: Die Bewegung GenZ212 hat es geschafft, soziale Themen in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte zu rücken. Ob diese Dynamik zu konkreten politischen Veränderungen führt, hängt auch davon ab, ob der Staat auf die Anliegen junger Menschen eingeht.

Ein Land zwischen Tradition und Wandel

Die morgige Parlamentseröffnung steht damit stellvertretend für die Balance, die Marokko seit Jahren sucht: zwischen monarchischer Stabilität und gesellschaftlichem Wandel, zwischen wirtschaftlicher Modernisierung und sozialer Teilhabe.

Für König Mohammed VI. bietet die Rede die Gelegenheit, Richtung und Ton für das politische Jahr 2025/26 zu setzen – und möglicherweise eine Brücke zu schlagen zwischen der staatlichen Führung und einer Generation, die ihre Stimme immer lauter erhebt.

Marokko – GenZ212 unterbricht Proteste aus Respekt vor königlicher Rede

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