Ab Mitte Juli könnte es Fischereiflotten untersagt sein, vor der Küste Marokkos und der Westsahara auf Fischfang zu gehen.
Brüssel / Rabat – Im Jahr 2018 schlossen die Europäische Union EU und Marokko ein Abkommen, dass es europäischen Fischereiflotten bis dato erlaubt hat, vor der Atlantikküste auf Fischfang zu gehen.
Gerade die Westküste Marokkos und insbesondere die Atlantikgewässer vor der Westsahara gelten als besonders reich an Fischbeständen.
Insbesondere große Fischereiflotten aus Spanien aber auch anderer europäische Länder, gehen mit Fabrikschiffen auf Fischfang.
Da das Abkommen mit der EU die Westsahara, auf die Marokko Anspruch erhebt und welcher nicht allgemein anerkannt ist, nicht ausschloss, erklärte der EUGH zuletzt am 29. September 2021 das Abkommen mehrfach für ungültig, da das sog. Volk der Sahraoui, das in Teilen und unterstützt von Algerien für eine Unabhängige Republik Westsahara auch bewaffnet kämpft, diesem Abkommen und der Abschöpfung der Ressourcen nicht zugestimmt habe.
Nur das Einlegen von Rechtsmittel von Seiten der EU-Kommission hat es erlaubt, dass das Abkommen bis heute weiter umgesetzt wurde. Die letzte Entscheidung des höchsten europäischen Gerichts wird noch in diesem Jahr erwartet, wahrscheinlich aber erst fallen, wenn das Abkommen ausgelaufen ist.
Keine offiziellen Verhandlungen über eine Verlängerung des Abkommens.
Das marokkanische Fischereiabkommen mit der Europäischen Union, das am 18. Juli 2019 für eine Dauer von vier Jahren in Kraft trat, läuft am 17. Juli dieses Jahres aus.
Eigentlich hätten die Verhandlungen über eine Verlängerung bereits seit Wochen, wenn nicht Monate, beginnen müssen. Doch weder von Seiten der EU noch von Marokko gibt es dazu Hinweise. Die Zeichen stehen eher dafür, dass das Abkommen nicht verlängert werden könnte.
Die Verhandlungen hätten sich auch schwierig gestaltet. Während die EU davon ausgehen muss, dass der EUGH gegen die EU-Kommission entscheiden wird, besteht das nordafrikanische Königreich Marokko darauf, dass alle Verträge und Abkommen die Westsahara bzw. marokkanische Sahara unter marokkanischer Hoheit einbeziehen.
Eine praktische Anerkennung des marokkanischen Hoheitsanspruchs über die Region. In seiner derzeitigen Form erlaubt das Abkommen 128 Schiffen aus 11 EU-Mitgliedsstaaten, in marokkanischen Gewässern zu fischen. Spanien ist mit 93 Schiffen der größte Nutznießer. Tatsächlich wäre es an der Zeit, über eine Verlängerung zu sprechen, wenn dies gewünscht wäre. Doch weder aus Rabat noch aus Brüssel ist etwas zu vernehmen. Anfang 2023 versuchte das sog. Poseidon Aquatic Resource Management erste Beratungen anzuregen, die die Verhandlungen unterstützen sollten.
Marokko hofft davon zu profitieren.
Im ersten Moment könnte man meinen, dass nun Marokko viel Geld entgehen würde und Rabat eigentlich ein größeres Interesse daran haben müsste, dass Abkommen weiterzuführen. Tatsächlich ist der Betrag relativ überschaubar und soll nach Angaben der EU bei etwas mehr als 40 Mio. EURO pro Jahr liegen. Angesichts der Anzahl der Fischereischiffe aus zahlreichen Ländern der EU und des Exportvolumens, den Fisch aus Marokko laut Devisenamt pro Jahr erreicht, ein Kleingeld. Im Jahr 2021 beliefen sich die marokkanischen Exporte von Meeresprodukten auf 778 Tausend Tonnen und wurden laut dem Ministerium für Landwirtschaft und Seefischerei auf 24,2 Milliarden Dirhams (2,5 Milliarden US-Dollar) geschätzt.
Neben diesem Einkommen, ging es Marokko eher darum, der EU bei ihren Problemen mit der einflussreichen Fischerei zu helfen, die aufgrund der Fangbeschränkungen in EU-Gewässern auf die Fischgründe im Nicht-EU Ausland angewiesen ist.
Mit einem solchen Fischereiabkommen wurde das viel wichtigere Handelsabkommen ergänzt, was Marokko Zugang zum europäischen Markt verschafft.
Marokko hat erhebliche Investitionen in seine Fischindustrie getätigt, auch in dem von Rabat kontrollierten Teil der Westsahara und wenn jetzt die EU nicht mehr selbst vor der Küste fischen kann, müssen die Händler die Nachfrage der europäischen Kunden durch Importe bei marokkanischen Unternehmen decken, was dem Königreich höhere Einnahmen verschaffen könnte.
„Marokko muss sich nicht mehr in die zahllosen Streitigkeiten rund um dieses Abkommen vertiefen, die Ratifizierungen, die Annullierungen vor der Verlängerung, die Berufungsverfahren… All das in einer unlösbaren Mischung aus wirtschaftlichen Interessen und politischer Vereinnahmung. Und das seit acht Jahren, seit die britische NGO Western Sahara Campaign UK (WSCUK) begann, den Inhalt des Abkommens im Namen der Enteignung der Fischbestände in den südlichen Provinzen durch Marokko anzuprangern“, bemerkt der Wirtschaftswissenschaftler Mohamed Jadri gegenüber dem Nachrichtenportal Le360 an.
Alternative Partner bereits interessiert.
Tatsächlich stehen Interessenten von außerhalb der Europäischen Union bereits auf der Türschwelle der marokkanischen Regierung in Rabat, die gerne die Fangmengen der EU abschöpfen würden. Ganz vorne Japan, Russland und China. Es ist zu vermuten, dass diese Länder auch bereit wären, eine höhere Abschlagszahlung zu leisten und würden sich wahrscheinlich weniger in die Frage der Westsahara einmischen.
Auch ist das Vertrauensverhältnis zwischen den europäischen Institutionen und Marokko aktuell nicht gerade gut. Zuletzt gab es Resolutionen des europäischen Parlaments gegen Marokko, die man in Rabat als Einmischung in innere Angelegenheiten bewertete. Auch der Bestechungsskandal Qatargate, in den mutmaßlich auch Marokko verstrickt sein soll oder die Vorwürfe im Zuge des Pegasus-Skandal belasten die Beziehungen.
Marokko womöglich mit geringem Interesse das Abkommen zu verlängern.
Marokko scheint aber selbst auch nicht mehr daran interessiert zu sein, das Abkommen zu verlängern. Neben den rein wirtschaftlichen Möglichkeiten, die sich aus dem Ende ergeben könnten, würde man gerne in Rabat deutlich auf die zahlreichen nicht eingehaltenen versprechen der EU reagieren.
In Rabat ist man es leid, dass sich die EU in zahlreiche Fragen einmischt, ohne dass dies einen Mehrwert darstellt. Weder wird von der EU ein angemessener Preis für die Fischmenge gezahlt, noch hat man den Hoheitsanspruch auf die Westsahara unterstützt.
Darüber hinaus ist die EU in Zugzwang. So steigt der Bedarf an erneuerbarer Energie zur Erreichung der Klimaziele. Marokkos Planung wird es dem Königreich nach jetziger Einschätzung erlauben, die in Paris vereinbarten Klimaziele einzuhalten. Europa benötigt Energieimporte und Marokko schickt sich an, vor den Tore der EU zu einem entscheidenden Player zu werden, sowohl in den Bereichen Windkraft, Sonnenenergie, grünen Wasserstoff wie auch Erdgas, durch die Marokko-Nigeria Pipeline.
Im kommenden Jahr stehen Europawahlen an und Rabat könnte sich süffisant Fragen, wie die aktuelle EU-Kommission streikerprobten Fischern in Spanien oder Frankreich erklärt, dass sie jetzt arbeitslos sind, weil man mit Marokko keine Lösung gesucht hat.
Das Königreich hat in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass es in der sog. „Nationalen Sache“, der Festigung der territorialen Integrität inkl. der Westsahara / marokkanischen Sahara, Erfolge erzielen kann, wenn bilaterale Verhandlungen stattfinden und Abkommen vereinbart werden, so z.B. mit Großbritannien oder im Rahmen des Abraham – Abkommens.
Zugleich wurde deutlich, dass auch große EU-Staaten mit dem Thema Migration unter Druck gesetzt werden können und sie dann sich der Position Rabats annähern, so geschehen bei den Niederlanden, Deutschland und nicht zuletzt Spanien. Es gibt daher immer weniger Gründe, wertvolle Ressourcen unter Wert abzugeben.
Hassan Sentissi El Idrissi, ein Unternehmer im Fischereisektor und Vorsitzender des nationalen Verbands der Verarbeitungs- und Verwertungsindustrie für Fischereierzeugnisse in Marokko wird gegenüber dem Nachrichtenportal Le360 sehr deutlich: „Ich war nie für die Idee eines Fischereiabkommens zwischen Marokko und der Europäischen Union, aber man hätte die höchsten Interessen des Landes und die Tatsache berücksichtigen müssen, dass sie sich allmählich zugunsten Marokkos änderten, sei es in Bezug auf die Erhöhung der Gebühren, die Reduzierung der Flotte oder die Verpflichtung zur Entladung in Marokko. Aber eines ist sicher: Dieses Abkommen ist nur als Teil eines Gesamtpakets wertvoll.“