Ohne formelle Anerkennung des marokkanischen Hoheitsanspruchs auf die Westsahara könnte Frankreich in den sog. südlichen Provinzen investieren.
Rabat – Für Marokko ist es das wichtigste Thema der Außenpolitik und für Frankreich ein heißes Eisen. Es geht, um den marokkanischen Hoheitsanspruch auf die Westsahara / marokkanische Sahara.
Die Beziehungen zwischen Rabat und Paris beginnen sich, nach einer langen und tiefen diplomatischen Krise, langsam zu normalisieren.
Die Krise baute sich über einen längeren Zeitraum auf. Frankreich, dessen Protektorat Marokko Anfang des letzten Jahrhunderts gewesen ist, konnte nie eine gewisse Überheblichkeit oder auch Arroganz gegenüber dem Königreich ablegen und übersah dabei, dass, nach der Thronbesteigung durch König Mohammed VI., sich das Land, durch eine positive wirtschaftliche Entwicklung, durch den Zugang zu den neuen Medien und Informationen, einem höheren Bildungsgrad der Bevölkerung und durch die engere Bindung an die USA sowie dem wachsenden Handel mit Spanien, zunehmen emanzipierte.
Paris bekam praktisch nicht mit, dass Rabat seine politische und wirtschaftliche Abhängigkeit von Frankreich schrittweise ablegte und sich auch eher dem angelsächsischen Raum, aber vor allem den afrikanischen Kontinent zuwandte.
Frankreich glaube sich bis zuletzt in einer Position der Überlegenheit, wie in der gesamten Afrikapolitik, die es vor allem dem Präsidenten Macron erlauben würde, eine Aussöhnung mit Algerien herbeizuführen, auch wenn man damit Marokko brüskieren würde, ohne dass es Konsequenzen für die Beziehungen zwischen Frankreich und Marokko hätte.
Auch in der Pegasus-Affäre (Abhöraffäre), beim Kauf von Waffensystemen oder dem anstehenden Ausbau des Hochgeschwindigkeitsschienennetzes bekam man oft den Eindruck, dass Marokko den Interessen Frankreichs Rechnung tragen sollte, als umgekehrt.
Bis zuletzt scheint die Situation und die sich veränderten Machtverhältnisse vor allem von Präsident Macron nicht erkannt worden zu sein, der in Rabat seit mehr als einem Jahr und auf höchster Ebene als Gast unerwünscht ist.
Erst im vergangenen September, im Kontext des schweren Erdbebens in der Provinz Al Haouz, zeigte sich Präsident Macron geradezu verärgert, weil Marokko darauf verzichtete, französische Rettungskräfte anzufordern, und wandte sich, wie ein marokkanisches Staatsoberhaupt und über die Autorität von König Mohammed VI. hinweg, an die Bürgerinnen und Bürger des Königreiches, was im Palast als Affront wahrgenommen wurde und bei den Marokkanerinnen und Marokkanern auf Ablehnung gestoßen ist.
Französische Wirtschaft macht Druck auf Macron.
Doch inzwischen steigt der Druck der französischen Wirtschaft auf Präsident Macron, die Beziehungen zu Marokko schnell und deutlich zu verbessern. Frankreich ist weiterhin der wichtigste Partner, wenn es um Direktinvestitionen in Marokko geht, und zweitwichtigster Handelspartner des Königreiches, nach Spanien.
Dies bedeutet, dass große Konzerne in erheblichem Umfang in Marokko engagiert sind, nicht zuletzt der Automobilbauer Renault – Nissan mit seiner Submarke DACIA sowie damit verbundene Zulieferer mit ihren Produktionsstätten nahe Tanger. Ein noch viel höheren Druck üben aber französische Infrastruktur- und Energiekonzerne aus, die bei den anstehenden Mega-Projekten in Marokko mitverdienen wollen und die zuletzt kaum noch die Chance erhielte, auch nur erfolgsversprechende Angebote abzugeben.
Marokko will seine Energieinfrastruktur ausbauen, darunter neue Stromleitungstrassen, Gaspipeline für Erdgas und Wasserstoff. Es stehen aber auch große Investitionen in die Infrastruktur an, darunter neue Autobahnen, z.B. zwischen Fés und Beni Mellal, Hochgeschwindigkeitszugstrecken, von Rabat nach Fés bis nach Oujda oder auch eine einfache Zugverbindung bis nach Dakhla.
Nicht zu vergessen sind die Investitionen, die das Königreich bis 2030 als Co-Gastgeber der FIFA-WM 2030 tätigen muss. So soll eines der weltweit größten Fußballstadien nahe Casablanca gebaut werden, es werden neue öffentliche Transportkapazitäten in den Austragungsorten benötigt und es gilt, für den stetig wachsenden Zustrom an Touristen die Hotelkapazitäten und die Flughäfen auszubauen.
Angesichts der Entwicklungen fürchten französische Konzerne bei der Auftragsvergabe zu kurz zukommen, was sich bereits bei den Hochgeschwindigkeitszugstrecken Kenitra – Marrakech und Marrakech – Agadir andeutet. So gingen die Planungsprojekte schon mal nicht an Frankreich, sondern an Südkorea und China. Ein Abkommen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie hat Marokko auch nicht mit Frankreich abgeschlossen, sondern mit Russland. Die Investitionen im Bereich Meerwasserentsalzung scheinen eher an Israel gehen zu können, die jahrzehntelange Erfahrung darin haben. Bei den Rüstungsgütern hat man Marokko bereits an die oft gemeinsam agierenden Anbieter USA und Israel verloren.
Jetzt will man wenigsten noch seine Chancen verbessern, wenn es um die anstehenden riesigen Energieprojekte geht. Es gibt aus Sicht Frankreichs nur einen politischen Haken.
Marokkos Energieprojekte liegen in der Westsahara / marokkanische Sahara
Der Haken ist die Westsahara / marokkanische Sahara. Die Region ist Marokkos höchste außenpolitische Priorität. In einer seiner wenigen Reden, machte König Mohammed VI. unmissverständlich klar, dass das Land alle zukünftigen Beziehungen zu anderen Staaten durch das „Prisma der Westsahara“ betrachten werde.
D.h., wer den Hoheitsanspruch Marokkos auf die Westsahara / marokkanische Sahara anerkennt, wird zum Partner oder gar Vertrauten, wie die USA, Israel die Golfstaaten und zahlreiche afrikanische Länder, die zum Teil bereits diplomatische Vertretungen in Dakhla und Laâyoune eröffnet haben.
Wer den Hoheitsanspruch zwar nicht anerkennt, den aber praktisch nicht anzweifelt, ist ein Freund, wie z.B. Spanien oder Großbritannien, und wer ihn zumindest nicht ablehnt, bleibt als Ansprechpartner willkommen, darunter die Beneluxstaaten, Österreich und Deutschland aber auch Russland und China.
Alle anderen Länder, die ihre Haltung gar als Verhandlungsmasse verstehen, darunter Frankreich, erleben ein Land, dass auch zum eigenen wirtschaftlichen Nachteil bereit ist, diplomatische Krisen auszulösen oder auszusitzen, zum „Wohle“ der eigenen territorialen Integrität.
Daher reagierte Marokko mehr als nur verärgert darüber, dass sich Frankreich unter Präsident Emanuel Maron dem Rivalen Algerien zugewendet hat. Ausgerechten dem Land, das der wichtigste Unterstützer der Frente Polisario ist, die bewaffnet gegen Marokko für eine unabhängige Westsahara / marokkanische Sahara kämpft. Da hilft es dann auch wenig, wenn der neue französische Außenminister Stéphane Séjourné bei seinem ersten offiziellen Besuch in Rabat (26. Februar 2024) und gegenüber seinen marokkanischen Amtskollegen Nasser Bourita betont, dass Frankreich stets die Haltung Marokkos im UN-Sicherheitsrat gestützt hat. Andere Länder, die nicht so eng mit Marokko verbunden sind, haben inzwischen mehr getan.
Darüber hinaus muss Frankreich erst wieder das beschädigte Vertrauen wiederherstellen, um in Rabat die Hinwendung Macrons zu Algerien vergessen zu machen. Zugleich ist klar, dass Marokko sich den Zugang der französischen Konzerne zu den Rohstoffen und zu den Investitionsprojekte im Land bezahlen lassen wird. Der Preis für den Zugang zu den Energieprojekten, die zunehmend in der Westsahara / marokkanischen Sahara entwickelt werden, ist eine mindesten praktische, wenn nicht sogar formelle, Anerkennung des Hoheitsanspruchs Marokkos auf seine „südlichen Provinzen“.
Französisches Außenministerium gibt grünes Licht für Investitionen in der Westsahara.
Noch möchte Frankreich den ganzen Schritt in Richtung formeller Anerkennung des Hoheitsanspruchs nicht machen, sei es, weil man diesen Schritt als EU – Land nicht alleine machen möchte oder weil man dann kein Verhandlungselement mehr hat oder um Algerien nicht wieder zu verärgern.
Doch die Sorge der französischen Wirtschaft abgehengt zu werden, hat in der französischen Regierung den Entschluss wachsen lassen, dass man auf praktischer und damit wirtschaftlicher Ebene den umstrittenen Status der Region nicht mehr als Hindernis betrachten möchte.
Am 4. April 2024 besuchte der französische Staatssekretär Franck Riester, zuständig u.a. für Außenhandel, anlässlich der Erneuerung der Partnerschaft zwischen Business France und der marokkanischen Industrie- und Handelskammer, Casablanca und verkündete dabei, dass das französische Außenministerium gegenüber französischen Unternehmen „grünes Licht“ gegeben hätte, auch in die Region der Westsahara / marokkanische Sahara zu investieren.
„Wissen Sie, Minister Séjourné war vor einigen Wochen, Ende Februar, hier, um sich zu äußern, eine Reihe von Dingen zu erklären, seinen Amtskollegen zu treffen und insbesondere zu betonen, dass wir die Bemühungen Marokkos um Investitionen in der Sahara begrüßen und bereit sind, diese Bemühungen auf die eine oder andere Weise zu begleiten“, wird Frank Riester von marokkanischen Medien zitiert. „Es stimmt, dass wir klar gesagt haben, dass Proparco (eine Tochtergesellschaft der Agence Française de Développement, die sich dem Privatsektor widmet) beispielsweise zur Finanzierung dieser Hochspannungsleitung zwischen Dakhla und Casablanca beitragen könnte, die für das Königreich natürlich von strategischer Bedeutung ist.“ Die Region ist für Marokko von sehr hoher Bedeutung, wird nicht nur gerade an einem neuen Hochseehafen gebaut, sondern es sollen weitere Wind- und Solarpaks entstehen und geprüft werden, ob die Region geeignet sein könnte, Marokkos ersten Kernreaktor zu errichten, der mit russischer Hilfe entstehen könnte.
Bei diesem Ansatz liegt der Schwerpunkt auf kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und mittelgroßen Unternehmen (MIGs) sowie auf der Katalysatorrolle der französischen Industrie- und Handelskammer in Marokko (CFCIM), um die bilateralen Geschäftsmöglichkeiten zu maximieren. „Wir sind davon überzeugt, dass dieser Aufschwung auch über die Unternehmen und insbesondere über die KMU und die ETI erfolgt. Wir haben gemeinsame Interessen und wir haben sowohl die Erfahrung, die Geschichte als auch den Wunsch, diese Herausforderungen gemeinsam zwischen Franzosen und Marokkanern und zwischen Marokkanern und Franzosen zu bewältigen“, sagte Franck Riester.
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Frankreich im harten Wettbewerb mit den Emiraten, den USA, China und Deutschland
Marokko gilt für Europa, in Fragen der Sicherheit aber vor allem als Partner der Energiewende, als Schlüsselland. Das Königreich hat nicht nur eine deutlich geringere Besiedlung und damit viel Platz für Sonnen- und Windkraftanlagen, sondern durch seine geographische Lage, eine hohe Anzahl an intensiven Sonnenstunden und durch seine lange Küste verlässliche Windverhältnisse. Dazu kommt die Nähe zu Europa und die derzeit stabilsten politischen Verhältnisse in der gesamten Region. Hinzu kommt ein Bekenntnis der Bevölkerung und der Monarchie zu einem moderaten Islam, eine liberale und dennoch auf Konsens ausgerichtete Wirtschaftspolitik sowie ein Reformwille, hinsichtlich der gesellschaftlichen Gegebenheiten und der Sozialsysteme.
Alles noch nicht vergleichbar mit vollends umgesetzten demokratischen Systemen, aber es ist eine positive Tendenz zu sehen und im Vergleich zu anderen Ländern des Maghreb oder Afrikas steht man gut da. Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass es in Marokko noch große Herausforderungen in den Bereichen Gleichstellung, Arbeitsmarkt, Rechtsstaatlichkeit, verlässliche Justiz und Korruptionsbekämpfung gibt. Aber wo gibt es diese nicht?
Dazu kommt die relativ erfolgreiche Außenpolitik, verbunden mit dem Prinzip der „Nichteinmischung“ in innere Angelegenheiten anderer Staaten, was Marokko zu einem gerne gesehenen Verhandlungspartner und Vermittler in der Region macht.
Alles Punkte, die andere Länder dazu motivieren, sich in Marokko zu engagieren.
Da wäre China, dass in weiten Teilen Afrikas einen großen Einfluss hat, da es beim Aufbau von Infrastruktur hilft und eine Kreditabhängigkeit aufbauen konnte.
In Marokko war das sog. „Reich der Mitte“ bei seiner Strategie noch nicht so erfolgreich, auch wenn Marokko Partner der „Neuen Seidenstraße“ ist. Aber beim Ausbau des Schienennetzes könnte China vielleicht zum neuen Partner des Königreiches werden. Chinesische Unternehmen taten sich bisher schwer, beim Markteintritt oder beim Aufbau eines Standortes, aber das muss ja nicht so bleiben.
Die USA sind Marokkos wichtigster militärische Partner und zugleich ist Marokko für die USA der wichtigste Nicht-NATO – Staat in der Region und die USA sind sehr daran interessiert, mit marokkanischer Hilfe die Sahelzone durch wirtschaftliche Entwicklung zu stabilisieren. Dazu hat der marokkanische König Ende letzten Jahres die neue Atlantik-Strategie ausgerufen. Dabei hat er den Staaten der Sahelzone, die keinen eigenen Zugang zum Meer haben, die Nutzung der marokkanischen Infrastruktur angeboten, was diesen Ländern den Absatz vor allem von Rohstoffen bis hin zu den USA erlauben würde. Als Nebeneffekt wäre zu beachten, dass dies im wesentlich dadurch umgesetzt werden soll, dass die Staaten der Sahelzone die neuen Häfen in Dakhla und Transportumschlagsplätze in Laâyoune in der Westsahara / marokkanische Sahara nutzen sollen.
Deutschland ist an Migrationsbegrenzung, Fachkräften und vor allem Wasserstoff interessiert und verhandelt über die KfW mit Marokko über neue Projekte im Energiesektor. Dabei hat die KfW als Kreditgeber bereits Erfahrung mit Marokko sammeln können, hat man doch auch die Solarkraftwerke Noor in Ouarzazate und Midelt mitfinanziert.
Doch der wichtigste Konkurrent dürften für alle genannten Länder die Vereinigten Arabischen Emirate werden, die Ende 2023 mit Marokko ein milliardenschweres Investitionsprogramm vereinbart haben. Die Emirate wollen bei der Belieferung Europas mit grüner Energie ein deutliches Wort mitreden.
Eigentlich wäre noch Großbritannien zu nennen, das die Beziehungen zu Marokko, als Ex-EU-Mitglied, ausgebaut hat, aber sich noch etwas ruhig verhält, weil man in London noch immer daran glaubt, dass man mit den ehemaligen Kolonien und dem Commonwealth of Nations seine Position besser ausbauen kann.
Diese Konkurrenten müssen dabei akzeptieren, dass sich viele Projekte besser in den dünn besiedelten Weiten der Westsahara / marokkanischen Sahara verwirklichen lassen, was nur unter marokkanischer Hoheit möglich sein wird.
Damit schließt sich der Kreis. Zugang zu den Möglichkeiten, Ressourcen und Projekten bekommen die interessierten und in Konkurrenz zueinanderstehenden Länder nur dann, wenn sie Marokkos Hoheitsanspruch über die Westsahara / marokkanische Sahara anerkennen, formell oder praktisch, und Frankreich ist spät dran.
Marokko – Nasser Bourita empfängt französischen Außenminister Stéphane Séjourné