StartMarokkoMarokko – Abgeordneter löst Kontroverse um angeblich „mit Papier gestrecktes“ Mehl aus

Marokko – Abgeordneter löst Kontroverse um angeblich „mit Papier gestrecktes“ Mehl aus

Ein Balanceakt zwischen politischer Kommunikation und öffentlicher Wahrnehmung

Zwischen politischer Rhetorik, Lebensmittelsicherheit und öffentlicher Wahrnehmung: Eine parlamentarische Aussage entfacht Debatten über Subventionen, Kontrollen und Vertrauen in staatliche Institutionen.

Rabat – Ein ungewöhnlicher und provokanter Vorwurf hat in Marokko eine breite Debatte über Lebensmittelsicherheit und den Umgang mit staatlichen Subventionen ausgelöst. Der Abgeordnete Ahmed Touizi, Vorsitzender der Parlamentsfraktion der Authentizitäts- und Modernitätspartei (PAM) und damit Teil der Regierungskoalition, erklärte am 28. Oktober 2025 im Repräsentantenhaus, das subventionierte Mehl werde angeblich „mit gemahlenem Papier vermischt“. Die Aussage fiel in Anwesenheit von Wirtschafts- und Finanzministerin Nadia Fettah Alaoui und Staatssekretär für den Haushalt Fouzi Lekjaa und richtete sich gegen mutmaßliche Missstände im Subventionssystem.

Abgeordneter Touizi verwies darauf, dass der Entschädigungsfonds zwischen 2022 und 2024 rund 16 Milliarden marokkanische Dirham MAD für Mehlsubventionen bereitgestellt habe. Das Geld, so sein Vorwurf, komme teilweise Empfängern zugute, die minderwertige oder gar manipulierte Ware auf den Markt brächten. Auch im Bereich der Butangas-Subventionen sprach er von Fehlanreizen und Missbrauch, etwa wenn Landwirte große Gasflaschen zum Beheizen privater Schwimmbecken nutzten. Touizi forderte daraufhin eine strengere Kontrolle der Subventionsvergabe und eine Reform der Verwaltungsmechanismen.

Lebensmittelaufsicht ONSSA widerspricht entschieden

Die Aussagen blieben nicht ohne Reaktion. Nur zwei Tage später meldete sich die Nationale Behörde für Lebensmittelsicherheit (ONSSA) zu Wort. In einer Stellungnahme gegenüber wies die Behörde die Behauptungen entschieden zurück und versicherte, es gebe keinerlei Hinweise auf eine tatsächliche Beimischung von Papier in Mehlprodukten.

Eine autorisierte Quelle der ONSSA erklärte gegenüber dem Nachrichtenportal Le360, dass in Marokko strenge Kontroll- und Rückverfolgbarkeitssysteme in allen Phasen der Mehlproduktion und -verteilung gelten. Verstöße würden „systematisch geahndet“. Aktuell verfügen 191 Mühlen über gültige Gesundheitsgenehmigungen, deren Einhaltung regelmäßig überprüft werde. Allein in den Jahren 2024 und 2025 seien 212 Kontrollbesuche durchgeführt worden.

Darüber hinaus habe die ONSSA im Rahmen eines nationalen Überwachungsprogramms 710 Proben im Jahr 2024 und 577 Proben bis Ende September 2025 analysiert. Diese Untersuchungen hätten in keinem Fall auf eine Vermischung mit Fremdstoffen hingedeutet, sondern sich auf Kontaminanten wie Aflatoxin oder Ochratoxin A sowie auf Nährwertparameter konzentriert. Im Ergebnis seien 38 Tonnen (2024) und 33 Tonnen (2025) nicht konformes Mehl vernichtet und mehr als 140 Fälle an die zuständigen Behörden weitergeleitet worden – ein Hinweis auf bestehende und funktionierende Kontrollmechanismen.

Staatsanwaltschaft prüft die Hintergründe

Der politische Wirbel um die Aussagen von Ahmed Touizi führte inzwischen auch zu einem juristischen Nachspiel. Wie Le360 am 30. Oktober berichtete, hat die Staatsanwaltschaft beim Berufungsgericht in Rabat eine Untersuchung eingeleitet, um die Hintergründe der Äußerungen zu klären. Dabei soll geprüft werden, ob die Anschuldigungen auf überprüfbaren Tatsachen beruhen oder ob es sich um eine missverständliche rhetorische Zuspitzung handelte.

Kurz nach der Einleitung der Ermittlungen veröffentlichte Herr Touizi selbst eine Erklärung auf seiner Facebook-Seite, in der er die Bedeutung seiner Worte relativierte. Der Ausdruck „Papier zermahlen“ sei nicht wörtlich, sondern metaphorisch gemeint gewesen und beziehe sich auf „gefälschte oder manipulierte Rechnungen“, die zum Zweck unrechtmäßiger Subventionsanträge vorgelegt würden. Es habe sich, so Touizi, um eine sprachliche Wendung im marokkanischen Dialekt gehandelt – nicht um den Vorwurf, dass tatsächlich Papier in Mehlprodukten enthalten sei. Sein eigentliches Anliegen, erklärte der Abgeordnete, sei die Verbesserung der Kontrollmechanismen und der Verwendung öffentlicher Mittel gewesen.

Subventionen im Fokus – alte Probleme neu beleuchtet

Die Diskussion wirft erneut ein Schlaglicht auf das Entschädigungssystem (Subventionen) (Caisse de compensation), das in Marokko zentrale Güter wie Mehl, Zucker und Butangas subventioniert. Seit Jahren steht dieses System wegen Intransparenz und ineffizienter Mittelverwendung in der Kritik. Bereits frühere Verantwortliche, darunter die ehemalige Direktorin des Fonds, Salima Bennani, hatten darauf hingewiesen, dass Subventionen teilweise ohne ausreichende Kontrolle der Mengen und Preise gewährt würden.

Vor diesem Hintergrund wird Touizis Kritik – ungeachtet der gewählten Ausdrucksweise – von Beobachtern auch als Symptom eines tieferliegenden Problems interpretiert: der schwierigen Balance zwischen sozialpolitischer Unterstützung und wirksamer Kontrolle staatlicher Ausgaben.

Ein Balanceakt zwischen politischer Kommunikation und öffentlicher Wahrnehmung

Der Fall zeigt exemplarisch, wie schnell politische Aussagen – insbesondere in Zeiten sozialer Sensibilität gegenüber steigenden Lebenshaltungskosten – gesellschaftliche Unruhe auslösen können. Während die ONSSA bemüht war, das Vertrauen in die Lebensmittelsicherheit zu stärken, sah sich Touizi gezwungen, seine Wortwahl zu präzisieren, um den Eindruck einer Lebensmittelkrise zu vermeiden.

Die laufenden Ermittlungen in Rabat sollen nun Klarheit über den Kontext der Äußerungen und mögliche administrative Versäumnisse schaffen. Zugleich verdeutlicht die Affäre, dass die Transparenz staatlicher Kontroll- und Subventionssysteme weiterhin ein zentrales Thema der marokkanischen Innenpolitik bleibt – insbesondere angesichts der hohen Summen, die jährlich für Preisstützungen bereitgestellt werden.

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